Sanktionen: Moskau überlegt Rache an Europas Fluglinien

(c) Austrian Airlines Group
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Als Reaktion auf die westlichen Sanktionen denkt Russland daran, europäischen Linien den kürzeren Flugweg nach Asien zu sperren. Die Flüge könnten sich um 30.000 Dollar verteuern.

Wien. Noch hält Russland sich mit Gegenmaßnahmen gegen die vom Westen verhängten Sanktionen zurück. Hinter den Kulissen wird aber offenbar intensiv überlegt, wo man empfindliche Stiche zufügen könnte. Als solcher Bereich wurde nun auch die Luftfahrt ausgemacht. Wie nämlich die gewöhnlich bestens informierte russische Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ am Dienstag unter Berufung auf drei mit der Causa vertraute Personen berichtete, werde im Transport- und im Außenministerium geprüft, ob Überflüge europäischer Airlines über russisches Gebiet eingeschränkt oder gar gestrichen werden sollten: Die Diskussion darüber habe schon nach Einführung der ersten Sanktionsstufe im Frühjahr begonnen. Nun – nach Verhängung weiterer Sanktionen, und dabei vor allem gegen den russischen Billigflieger Dobroljot, der Linienflüge auf die annektierte Krim anzubieten begonnen hat – habe sie Aktualität erlangt.

Offiziell bestätigt wurde das Vorhaben nicht. Auch bei den Austrian Airlines, die bei Flügen nach Japan die Route über Sibirien nutzen, wisse man nichts von diesbezüglichen Plänen, wie AUA-Sprecherin Patricia Strampfer auf Anfrage der „Presse“ erklärte.

Drohender Schaden

Sollte es tatsächlich zu Einschränkungen bei den Überflügen über die Trans-Sibirien-Route kommen, würden europäische Fluglinien massiv geschädigt. Die Nutzung der Route bei Flügen nach Asien erspart nämlich nicht nur Zeit, weil sie den Weg um tausende Kilometer verkürzt. Sie erspart auch Geld im Ausmaß von bis zu 30.000 Dollar (22.400 Euro) pro Flug, wie Alexandr Neradko, Leiter der russischen Staatsagentur für Flugtransport, in einem Interview erklärte. Bereits Anfang der 1970er-Jahre hatten sich westliche Staaten mit der damaligen Sowjetunion darauf geeinigt, dass die Fluglinien diese Route nehmen können. Damals freilich ist man auch übereingekommen, dass die Fluglinien eine Entschädigung dafür entrichten müssen – sogenannte Royalties (Spezialgebühren). Mit 300 bis 500 Mio. Dollar wird die Summe beziffert, die Russland dadurch bis heute jährlich kassierte – konkret die staatliche und dominante Fluglinie Aeroflot, die damit ihre jährliche Bilanz aufbessern durfte. Nicht zufällig brach daher gestern die Aeroflot-Aktie in Moskau im Tagesverlauf um bis zu sieben Prozent ein.

„Hammer auf den Kopf“

Die Überfluggebühren bedeuten gute Einkünfte, erklärte Dmitri Peskow, Sprecher von Kreml-Chef Wladimir Putin, gegenüber „Wedomosti“. „Man muss daher alle Pro und Kontra sorgfältig abwägen, um nicht den Amerikanern und Europäern gleich zu werden und sich praktisch mit dem Hammer selbst auf den Kopf zu schlagen.“ Die Billigfluglinie Dobroljot, eine Tochter der Aeroflot, war jüngst auf die EU-Sanktionsliste gelangt, weil sie im Juni die Krim anzufliegen begonnen hatte. Daraufhin hat die irländische SMBC Aviation Capital den Leasingvertrag für die Boeing 737-800NG nicht mehr erfüllt – jenen Maschinentyp, der das Herzstück des Dobroljot-Fuhrparks hätte werden sollen. Mit Montag, 4.August, stellte Dobroljot alle Flüge ein.

Sanktionen treffen hart

Die Sanktionen treffen die stagnierende russische Wirtschaft aber generell hart. Um die staatlichen Haushalte etwas zu entlasten, droht den Steuerzahlern nun eine zusätzliche Verkaufssteuer von bis zu drei Prozent.

Wie die Ratingagentur Moody's vorrechnet, könnten bei anhaltender Kapitalflucht auch Russlands internationale Reserven rapide schrumpfen, weil die Stützungskäufe zur Stabilisierung des Rubels immer teurer kämen. Auch die Agentur Fitch rechnet damit, dass die Reserven dieses Jahr von 472,5 Mrd. Dollar (Ende Juli) auf 450 Mrd. Dollar und nächstes Jahr auf 400 Mrd. Dollar zurückgehen werden. Seit Jahresbeginn sind sie laut russischer Zentralbank bereits um 7,6 Prozent geschrumpft. Damit ist man freilich noch immer weit von jenen 215 Mrd. Dollar entfernt, die die Zentralbank in den Krisenjahren 2008–2009 kurzfristig zur Stützung der Währung und für andere Hilfsmaßnahmen ausgeben musste. 2009 war Russlands Wirtschaft um 7,9 Prozent geschrumpft.

Im heurigen ersten Halbjahr hat die Kapitalflucht 74,6 Mrd. Dollar betragen, nachdem im Vergleichszeitraum des Vorjahres 61 Mrd. Dollar abgeflossen waren. Für das Gesamtjahr prophezeit der Internationale Währungsfonds einen Abfluss von über 100 Mrd. Dollar.

AUF EINEN BLICK

Hinter den Kulissen diskutieren russische Funktionäre die Möglichkeit, europäischen Fluglinien den Überflug über russisches Territorium zu erschweren, schreibt die Wirtschaftszeitung „Wedomosti“. Sollte es dazu kommen, würde das empfindliche Kosten verursachen. Allerdings würde sich Moskau damit auch selbst treffen. Russland erhält bisher nämlich bis zu 500 Mio. Dollar pro Jahr an Überfluggebühren, die fast gänzlich der russischen Fluglinie Aeroflot zugute kommen und ihre Bilanz aufbessern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.08.2014)

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