Krebs: Eine Krankheit mit vielen Gesichtern

(c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
  • Drucken

Die Molekularbiologie hat das Feld revolutioniert, Mediziner arbeiten in Diagnose und Therapie mit völlig neuen Möglichkeiten. Krebs entwickelt sich immer mehr von einer tödlichen zu einer chronischen Krankheit. Aber er bleibt ein Tabu.

Die Diagnose Krebs schockiert Betroffene und Angehörige. Der Tod einer angesehenen Politikerin berührt die Menschen. Statistisch gesehen erkrankt jeder Dritte im Laufe des Lebens einmal an Krebs. Dennoch ist die Krankheit ein Tabu-Thema, über das viele wenig wissen.

„Den“ Krebs gibt es nicht. Auslöser und Verlauf sind vielfältig und hängen stark vom jeweiligen Tumor ab. Prinzipiell kann jedes Organ befallen werden. „Gemeinsam ist den Erkrankungsformen, dass sich dabei besonders aggressive Zellen atypisch vermehren und im Körper in fremdem Gewebe weiterwachsen“, sagt Christoph Zielinski im Gespräch mit der „Presse“. Der Mediziner ist Vorstand der Universitätsklinik für Innere Medizin I an der Wiener Med-Uni und leitet die Klinische Abteilung für Onkologie. Er behandelte auch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer.

Jedes Jahr erkranken in Österreich rund 35.000 Menschen. Dabei gilt: Je älter, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, betroffen zu sein. Auch wenn junge Patienten oft stärker im Gedächtnis blieben: „Krebs ist eine Erkrankung des höheren Lebensalters“, sagt Zielinski. „Und die Menschen werden immer älter.“

Die Krankheit hat viele Gesichter: Verschiedene Krebserkrankungen treten bei Männern und Frauen unterschiedlich oft auf. Die häufigsten sind dabei Dickdarmkrebs – bei beiden Geschlechtern – sowie geschlechtsspezifisch Brustkrebs bei Frauen und Prostatakrebs bei Männern.

Lungenkrebs vor Epidemie

„International gibt es extreme Verschiebungen“, sagt der Mediziner. „Lungenkrebs nimmt vor allem in den Entwicklungsländern und den finanziellen Schwellenländern Asiens und Afrikas katastrophal zu. Hier stehen wir vor einer Epidemie.“ Zielinski führt das auf mangelnde Information zurück, die Menschen wüssten zu wenig über die Risken. Für ihn ist Rauchen ein „Killer“ und Hauptrisikofaktor für viele Erkrankungen.

Auch die Entdeckung der Humanen Papillomviren (HPV) als häufigste Ursache für Gebärmutterhalskrebs hat neue Perspektiven gebracht: Veränderte Sexualpraktiken haben zu Häufung von Tumorerkrankungen im Mund- und Hals-Nasen-Ohren-Bereich ebenso wie von Analkarzinomen geführt, die mit den Viren in Verbindung gebracht werden.

Dabei habe die Forschung in vielen Bereichen wahre „Entwicklungsschübe“ erlebt: „Wenn wir die Ursachen besser verstehen, hilft uns das bei der Therapie und Prognose.“ Etwa bei Nieren- und Brustkrebs seien in der vergangenen Zeit große therapeutische Erfolge gelungen.

Bahnbrechend sei das Wissen aus dem Human Genome Project, bei dem vor rund zehn Jahren die Entschlüsselung des menschlichen Genoms gelang. „Ganze Lehrbücher müssen neu geschrieben werden. Wir teilen Tumore heute nicht mehr nur nach anatomischen Ursachen ein, sondern vielmehr nach genetischen und molekularbiologischen Kriterien“, sagt Zielinski.

„Tumore sitzen zwar mitunter an derselben Stelle im Körper, unterscheiden sich biologisch aber gewaltig.“ Das ist nicht nur für die Diagnose, sondern auch für die Therapie bedeutsam: Auch wenn Tumore an der gleichen Stelle liegen, könne eine andere Behandlung notwendig sein. Umgekehrt könnten aber auch Tumore an unterschiedlichen Stellen die gleichen biologischen Eigenschaften haben. „Immer wieder entdecken wir überraschende Gemeinsamkeiten von Tumoren.“ Wo der Ersttumor sitzt, sei damit heute weit weniger wichtig. Das molekularbiologische Wissen bringt auch konkretere Behandlungsmöglichkeiten: „Wir können an der Med-Uni im Rahmen eines Programms über „personalisierte Krebsmedizin“ über 700 der häufigsten bei Krebserkrankungen bekannten genetischen Veränderungen untersuchen und diagnostizieren. Daraus lassen sich Therapien empfehlen, an die man ohne diese Diagnostik nicht gedacht hätte.“

Expertenteams beraten

Auch der Zugang der Mediziner habe sich entscheidend geändert. Vertreter verschiedener Disziplinen – Onkologen, Strahlentherapeuten, Radiologen, Pathologen und Chirurgen – beraten sich. Für die Therapie kommen auch Psychologen und Ernährungswissenschaftler dazu.

Viele Krebsarten gelten heute sogar als heilbar: Große Fortschritte habe man etwa bei frühem Dickdarm- oder auch bei frühem Brustkrebs gemacht. Und auch wenn sich Lungenkrebs in bestimmten Ländern massiv ausbreitet, seien hier in den letzten Jahren entscheidende Erfolge gelungen. „Mit der richtigen Kombination aus Operation, Strahlentherapie und internistischen Maßnahmen sind viele Erkrankungen vor allem im Frühstadium potenziell heilbar.“
Als besonders aggressiv gilt hingegen Krebs in der Speiseröhre, im Magen oder auch in der Bauchspeicheldrüse. „Hier haben wir noch großen Aufholbedarf, auch in der Forschung.“ Woran stirbt ein Mensch mit der Diagnose Krebs? „Tödlich ist meist nicht der Ersttumor, sondern seine Aussaat, die Metastasen“, so Zielinski. „Organe wie Hirn, Leber oder Lunge versagen, oder der Mensch stirbt an tumorbedingten Stoffwechselproblemen.“

Mit Krebs leben

Es sei aber ebenfalls eine Errungenschaft der letzten Jahre, dass die Krankheit nicht tödlich enden müsse: Krebs sei stark zu einer chronischen Erkrankung geworden wie andere auch. Als Beispiel nennt er eine Herzmuskelerkrankung: „Der Patient erfährt Einschränkungen, auch was die Lebensqualität betrifft, lernt aber, mit der Krankheit zu leben. Mitunter können Menschen auch über viele Jahre mit Krebs leben.“

Eine Chance, die Familie und Freunde aber freilich auch belastet. Die Mediziner setzen hier auf Information. Am ebenfalls von Zielinski geleiteten Comprehensive Cancer Center wurde daher 2011 die Vienna Cancer School gegründet: Neben den Patienten lernen hier auch Angehörige mehr über Krebs und den Umgang mit der Krankheit. Der Experte rät Angehörigen jedenfalls zu einem möglichst normalen Miteinander: „Nicht zu beschützend mit den Patienten umgehen, das macht es allen Seiten meist nur schwerer.“

LEXIKON

Krebs ist ein Sammelbegriff für verschiedene Krankheiten mit gemeinsamen Merkmalen: Ursprünglich normale Zellen des menschlichen Körpers vermehren sich unkontrolliert, wachsen in gesundes Gewebe ein und schädigen es. Sie werden zu Krebszellen.

Krebszellen können sich von ihrem Entstehungsort lösen und an anderen Stellen im Körper Tochtergeschwülste, sogenannte Metastasen, bilden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wissenschaft

Krebsschule: „Basiskurs Krebswissen“ für alle

Med-Uni und AKH Wien bieten Basis- und Aufbaukurse zum Thema Krebs für Betroffene und Interessierte. Die Anmeldefrist für den Herbst beginnt Ende August.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.