Türkei: Absolute Macht für Erdoğan

Aus Premierminister Recep Tayyip Erdogan wird am 28. August der türkische Präsident.
Aus Premierminister Recep Tayyip Erdogan wird am 28. August der türkische Präsident.(c) REUTERS
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Mit 52 Prozent entschied der Premier die Präsidentenwahl gleich in der ersten Runde für sich. Überraschend gut schnitt Kurdenkandidat Demirtaş ab, von dem man wohl noch hören wird.

Kaum stand sein Sieg schon im ersten Wahlgang fest, hielt es den türkischen Premier Recep Tayyip Erdoğan nicht mehr in den eigenen vier Wänden. Der 60-Jährige verließ seine Wohnung im asiatischen Teil Istanbuls und fuhr zum Wahlzentrum seiner Regierungspartei AKP am Goldenen Horn. Hier hielt er seine erste Ansprache als frisch gewählter 12. Präsident der türkischen Republik. In der kurzen Rede versprach er ganz allgemein mehr Demokratie und eine Fortsetzung des Friedensprozesses mit den Kurden. Doch was dabei auffiel: so richtig ausgelassen wirkte er nicht.

Das mag auch daran gelegen haben, dass Erdoğans Sieg am Ende doch wesentlich knapper ausgefallen war, als er selbst es noch vor wenigen Tagen vorhergesagt hatte. Mit bis zu 57 Prozent der Stimmen hatte er gerechnet - doch am Ende musste er sich mit 51,96 Prozent zufrieden geben. Mitbewerber Ekmeleddin Ihsanoğlu, als Kompromisskandidat von Kemalisten und Ultranationalisten aufgestellt, kam auf knapp 39 Prozent, während der Kurde Selahattin Demirtaş fast 10 Prozent erreichte - das ist deutlich mehr als in den Umfragen vorhergesagt.

Alle Augen auf Demirtaş

Kein Wunder, dass sich der 41-jährige Anwalt Demirtaş nach der Wahl als neuer Oppositionsführer empfahl. Er werde verhindern, dass in der Türkei ein Ein-Mann-System entstehe, sagte er. Demirtaş hatte über das kurdische Wählerpotenzial hinaus vor allem in den großen Städten die Stimmen von Unzufriedenen einsammeln können. „Die aufregendste Sache in den nächsten zehn Monaten" werde die Entwicklung von Demirtaş sein, schrieb der in London ansässige Türkei-Experte Ziya Meral auf Twitter: Im Juni 2015 steht in der Türkei die nächste Parlamentswahl an.

Demirtaş und der Rest der Opposition können aus der Wahl vom Sonntag wichtige Lehren ziehen. Erdoģans Erfolg kam nicht zuletzt deshalb zustande, weil viele Anhänger der Opposition - die Rede war von zwei Millionen Menschen - zu Hause geblieben und nicht zur Wahl gegangen waren. Diese Wähler hätten Erdoğans Sieg im ersten Wahlgang verhindern können. Demirtaş will deshalb mit dem Aufbau einer landesweiten Organisation seiner Kurdenpartei HDP beginnen, um überall in der Türkei Erdoğan-Gegner motivieren zu können.

Dass Demirtaş von der Gefahr eines Ein-Mann-Systems sprach, war kein Zufall. Erdoğan will als Präsident dafür sorgen, dass sich die Türkei von der bisher geltenden parlamentarischen Demokratie verabschiedet und ein Präsidialsystem à la USA einführt. Kritiker wie Demirtaş befürchten, dass damit der Willkür Tür und Tor geöffnet werden.

Neuer Premier wird zum Gehilfen degradiert

Mit dem relativ knappen Wahlausgang vom Sonntag ist nicht sicher, inwieweit Erdogan seine Pläne umsetzen kann. Als Präsident darf er nicht mehr an Wahlkämpfen für Parlamentswahlen teilnehmen - weshalb die meisten Beobachter davon ausgehen, dass die Erdoğan-Partei AKP im kommenden Jahr bei der Parlamentswahl deutlich Stimmen verlieren wird. Es ist also nicht klar, woher Erdoğan die Mehrheiten für die anvisierten Verfassungsänderungen zur Verankerung des Präsidialsystems hernehmen will.

Offen ist auch das neue Aussehen der türkischen Regierung nach Erdoğans Amtsantritt als Präsident Ende des Monats. Da er sein Parlamentsmandat und den AKP-Vorsitz aufgeben muss, braucht die Regierung einen neuen Premier und die Partei einen neuen Chef. Erdoğan wird wohl einen treuen Gefolgsmann auf diese beiden Posten setzen: Er will die Zügel auch als Präsident fest in der Hand behalten und unter anderem Kabinettsitzungen leiten, was die Verfassung schon jetzt erlaubt.Regierungschef und Kabinett werden deshalb zu Gehilfen degradiert, die vor allem die politischen Leitlinien des Staatsoberhauptes umzusetzen haben.

Präsident aller Türken - das glauben nicht alle

Eine Pause gibt es für die türkische Politik wegen der Parlamentswahl 2015 nicht. Es ist zu erwarten, dass die scharfen innenpolitischen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate weitergehen - zumal Erdoğan selbst mehrmals angekündigt hat, auch als Präsident weiter gegen angebliche Machenschaften des islamischen Predigers Fethullah Gülen vorzugehen.

AKP-Parteisprecher Hüseyin Celik versprach zwar, auch mit einem Wahlergebnis von 52 Prozent werde Erdoğan der Präsident aller Türken sein. Doch angesichts der Polarisierung in der Gesellschaft glaubt das höchstens die Hälfte der Menschen im Land.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2014)

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