Erdoğan beschwört in seiner Siegesrede nach vielen Krisen eine "neue Ära" für die Türkei. Noch-Präsident Gül möchte wieder politisch für die AKP aktiv werden.
Nach dem Sieg von Recep Tayyip Erdoğan bei der Präsidentenwahl in der Türkei beginnt die Suche nach einem Nachfolger für sein bisheriges Amt als Regierungschef. Wenn die Wahlkommission Erdoğan offiziell zum designierten Präsidenten ernennt, muss er außerdem den Vorsitz der islamisch-konservativen AKP abgeben. Erwartet wird, dass er enge Gefolgsleute auf die beiden Posten setzt. Eine Entscheidung könnte der Parteikongress der AKP am 27. August bringen - einen Tag, bevor Erdoğans Amtszeit als Präsident beginnt.
Der scheidende türkische Präsident Abdullah Gül will jedenfalls auch nach dem Ende seiner Amtszeit am 28. August in der Politik bleiben. Er werde eine Aufgabe in der regierenden AK-Partei übernehmen, die er 2001 zusammen mit dem Regierungschef und künftigen Präsidenten Erdoğan gegründet hatte, kündigte Gül am Montag in Ankara an. Er wird als möglicher neuer Premierminister gehandelt.
Er sei nur natürlich, dass er zu seiner Partei zurückkehre, sagte der Politiker. Gül gilt im Gegensatz zu Erdoğan, der die Präsidentenwahl am Sonntag gewonnen hat, als Integrationsfigur. Die beiden Politiker sind zwar seit langem Verbündete, zuletzt wirkte ihr Verhältnis jedoch angespannt. Zu den Streitpunkten zählt unter anderem der Umgang mit den regierungskritischen Protesten im Gezi-Park, die Erdoğan 2013 durch die Polizei niederschlagen ließ.
Gül hatte sich als Präsident auf eine zeremonielle Rolle beschränkt. Schon jetzt gäbe die Verfassung dem Präsidenten allerdings erhebliche Macht. So sind beispielsweise seine Entscheidungen juristisch nicht anfechtbar. Bei seiner Siegesrede erwähnte Erdoğan Gül nicht.
Als Präsident die Macht ausbauen
Erdoğan hat deutlich gemacht, dass er als erster vom Volk gewählter Präsident weiterhin selbst die Geschicke der Türkei lenken will. Erdoğan ist am Sonntag nach vorläufigen Ergebnissen bereits im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt worden.
Nach seinem Wahlsieg kündigte der 60-Jährige eine "neue Ära" für die Türkei an. Er werde Staatsoberhaupt aller 77 Millionen Türken sein, sagte er am Sonntagabend in seiner versöhnlich gehaltenen Siegesrede in Ankara. Die Konflikte der Vergangenheit sollten der "alten Türkei" angehören. "Heute ist ein historischer Tag", sagte Erdoğan . "Heute schließen wir die Türen zu der alten Ära und eröffnen eine neue Ära."
Neue Verfassung geplant
Erdoğan regiert seit 2003 und hätte nach den Statuten seiner AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) nicht ein viertes Mal Ministerpräsident werden dürfen. Mit Erdoğans Wahlsieg dürften die Weichen für die Einführung eines Präsidialsystems gestellt und das Präsidentenamt mit mehr Macht ausgestattet werden, als sie der Ministerpräsident bisher hatte. Als eines seiner Ziele hat Erdoğan eine neue Verfassung angekündigt.
Erdoğan gelang der Wahlsieg trotz zahlreicher Krisen, die seine Regierung seit dem Sommer vergangenen Jahres erschütterten. Damals gingen bei den sogenannten Gezi-Protesten Millionen Türken gegen seinen autoritären Regierungsstil auf die Straßen. Später sah sich seine Regierung massiven Korruptionsvorwürfen ausgesetzt. Auch aus der EU wurde Erdoğans autoritärer Kurs mehrfach kritisiert.
Erdoğan wird das zwölfte Staatsoberhaupt der Türkei. Als Präsident kann er nach fünf Jahren für eine weitere Amtszeit wiedergewählt werden. Erdoğan hat mehrfach deutlich gemacht, dass er zum 100. Geburtstag der Republik 2023 noch in der Türkei herrschen will.
Gratulationen von Muslimbrüdern
Gratulationen zum Wahlsieg gab es auch von der in Ägpyten verbotenen Muslimbruderschaft. Auf der Partei-Webseite wünschte das "Büro" von Ex-Präsident Mohammed Mursi dem bisherigen türkischen Premier am Montag anhaltenden Erfolg. Erdoğan hatte den Sturz Mursis durch das Militär verurteilt und ist ein Kritiker des ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi.
Auch die EU-Spitzen in Brüssel gratulierten. Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionschef José Manuel Barroso betonten am Montag in einer gemeinsamen Stellungnahme zugleich: "Wir vertrauen darauf, dass Sie in ihrer versöhnenden Rolle bleiben, die Ihre neue Position mit sich bringt." Die Türkei sei "ein Schlüsselpartner der Europäischen Union: ein Kandidatenland in EU-Beitrittsverhandlungen, ein Nachbar, ein wichtiger Handelspartner und außenpolitischer Verbündeter". Van Rompuy und Barroso betonten, die EU wolle in all diesen Bereichen die Zusammenarbeit verstärken.
Weniger schmeichelhaft die Reaktion der Ratingagentur Fitch. Durch Erdoğans Wahlsieg gebe es wirtschaftliche Gefahren für die Türkei. Das politische Umfeld bleibe im Fokus und könnte auch die Stimmung der Investoren eintrüben, erklärte Fitch am Montag. Ein Grund dafür sei das Vorhaben von Erdogan, das Amt des Präsidenten mit neuen Befugnissen auszustatten. Die Bonitätsnote, die mit "BBB-" gerade noch eine gute Kreditqualität signalisiert, tastete Fitch nicht an. Die Agentur warnte jedoch vor einer Herabstufung.
(APA/dpa)