Wettbewerbsrecht: „Amazon missbraucht seine Marktmacht“

File photo of graphics of new Amazon Kindle tablets at news conference in New York
File photo of graphics of new Amazon Kindle tablets at news conference in New York(c) REUTERS (SHANNON STAPLETON)
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Laut europäischem Recht darf Amazon weder plötzlich Produkte auslisten, noch den Versand verzögern.

Wien. Darf Amazon das eigentlich – Bücher oder DVDs kurzerhand aus dem Angebot nehmen, wenn der Geschäftspartner nicht spurt, oder Lieferungen bewusst hinauszögern? Und hat Amazon hierzulande bereits eine marktbeherrschende Stellung, gegen die die Wettbewerbshüter eigentlich einschreiten müssten?
„Ja, das trifft auf Amazon weitgehend zu“, sagt Kartellrechtsexperte Florian Neumayr von Anwaltskanzlei BPV Hügel. Nach österreichischem Recht sei ein Marktteilnehmer nämlich nicht erst dann problematisch, wenn er eine Monopolstellung zu erreichen droht, sondern eben schon dann, wenn Marktmacht gegeben sei. Das sei dann der Fall, wenn ein Unternehmen so mächtig werde, dass seine Geschäftspartner „zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen angewiesen sind“.
Die Vermutungsschwelle für Marktmacht liegt bei einem Marktanteil von 30 Prozent. Im Vergleich mit anderen Onlinehändlern hat Amazon diese Marktmacht locker erreicht, im Jahr 2012 betrug der Umsatz von Amazon in Österreich 318 Mio. Euro und war damit mehr als dreimal so hoch wie jener des Branchenzweiten im Onlinehandel, der Unito-Gruppe (Universal, Quelle). Nimmt man aber den Buchhandel und nicht den Onlinehandel als Parameter, bewegt sich der Anteil der insgesamt online verkauften Bücher laut Fachverband der Buch- und Medienwirtschaft zwischen zehn und 15 Prozent. Hier wäre die kritische Schwelle also noch nicht erreicht. In den USA ist dieser Anteil schon wesentlich höher, was das forschere Auftreten Amazons in Preisverhandlungen mit so mächtigen Konzernen wie Hachette oder Disney erklärt.

„Verhalten wie ein Rechtsstaat“


Marktmacht an sich ist in Österreich nicht strafbar – allerdings erwachsen einem marktmächtigen Unternehmen aus dieser Position gewisse Pflichten: Es darf seine Macht nicht missbrauchen. „Wenn ich Marktmacht habe, muss ich mich verhalten wie ein Rechtsstaat, ich darf nicht unsachlich diskriminieren, ohne guten Grund einen Geschäftsbeziehung abbrechen“, sagt Neumayr. Man könne zum Beispiel nicht mehr einfach so einen Vertrag mit einem Geschäftspartner beenden. Dazu braucht es einen sachlichen Grund. Die plötzliche Auslistung von DVDs oder Büchern erfülle den Tatbestand einer „unsachlichen Einschränkung von Geschäftsbeziehungen“ – nach EU-Recht strafbar. Auch die mutwillige Verzögerung von Lieferungen sei ein Missbrauchstatbestand. In den USA – wo Amazon mit diesem Verhalten bisher ungeschoren davongekommen ist – sei die Rechtslage eine andere. „Der Begriff der Marktmacht und deren Missbrauch ist im US-Rechtssystem nicht so etabliert wie bei uns“, sagt Neumayr. In den USA gehe man gegen missbräuchlich agierende Unternehmen eher über die kartellrechtliche Schiene vor. Allerdings: Gerade Vergehen in den vertikalen Beziehungen – also jenen zwischen Händlern und Lieferanten, die im Fall Amazon relevant sind – würden in den USA viel weniger streng geahndet als in Europa.
In Europa wiederum, auch in Österreich, sei das Problem jenes, dass das Kartellrecht darauf abziele, das missbräuchliche Verhalten von Produzenten gegenüber dem Handel zu unterbinden – und nicht umgekehrt. Denn die Produzenten waren lange die Stärkeren, die dem Handel ihre Bedingungen aufzwangen. Mittlerweile hat sich der Spieß aber umgedreht. Hierzulande nicht nur im Lebensmittelhandel – in dem etwa die marktbeherrschenden Konzerne Rewe und Spar von den Wettbewerbshütern in die Mangel genommen werden –, sondern auch im Onlinehandel, in dem Verlage in ungesunde Abhängigkeit von Amazon geraten. Nur zeigt sich die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) dem mächtigen Onlinehändler gegenüber bisher ganz handzahm. Warum? Das hat zwei Gründe. „Der Internetvertrieb ist die heilige Kuh der BWB“, sagt Jurist Neumayr. „In ganz Europa gibt es Bestrebungen, den Onlinehandel besonders unter den Schutz des Kartellrechts zu stellen. Das ist gut und richtig für Start-ups, aber völlig fehl am Platz im Umgang mit dem marktbeherrschenden Player Amazon.“

Keiner traut sich, Amazon anzuzeigen


Der zweite Grund, warum Amazon bisher ungeschoren davonkam, ist schlicht der: Es gibt keine Anzeigen. Da sei die Situation jener im Lebensmittelhandel nicht unähnlich, in dem es ja schwer sei, dem Handel kartellrechtliche Vergehen nachzuweisen, weil die Lieferanten sich nicht trauen auszusagen. Zu groß sei die Angst, ausgelistet zu werden und sich damit jede Geschäftsgrundlage zunichtezumachen, meint Neumayr. In Deutschland gibt es bereits erste Anzeichen für einen Aufstand.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels beschwerte sich im Juni beim Bundeskartellamt, weil Amazon bei Verhandlungen mit der Verlagsgruppe Bonnier seine Marktmacht missbrauche. (es)

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