Strafvollzug: Besser einsperren

Gefangenenhaus Wien-Josefstadt
Gefangenenhaus Wien-Josefstadt Presse Print
  • Drucken

In der Debatte um den Strafvollzug stehen zwei Gefängnisse im Fokus: das Gefangenenhaus Wien-Josefstadt und die Haftanstalt Krems-Stein. Doch warum entstehen gerade dort die Probleme? Und wie wären sie zu vermeiden?

Zu behaupten, dass nur zwei der 27 Justizanstalten Österreichs mit Problemen kämpfen, wäre glatt gelogen. Personalmangel bei der Justizwache, der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb der Haft, die unzureichende Versorgung von geistig abnormen Rechtsbrechern – all das muss als fast flächendeckendes Übel gesehen werden. Auffällig ist aber, dass in der Debatte um den österreichischen Strafvollzug häufig zwei Anstalten genannt werden: das größte Gefängnis Österreichs, das Gefangenenhaus Wien-Josefstadt, und die von „Häfen“-Legenden umrankte (Hochsicherheits-)Anstalt Krems-Stein in Niederösterreich. „Die Presse am Sonntag“ erklärt, warum gerade diese beiden Häuser nicht aus den Schlagzeilen kommen. Und zeigt Lösungen auf.

Wien-Josefstadt: Die U-Haft-Anstalt


Die Stadtchronik sagt, dass der Bauführer und der Dachdecker die ersten Häftlinge gewesen sein sollen. Kurz nach Fertigstellung des Strafgerichts im Mai 1839 in der Wiener Josefstadt sollen die beiden den angeschlossenen Zellentrakt „eingeweiht“ haben. Wegen eines durchaus „modernen“ Delikts: Sie sollen den Staat durch betrügerische Abrechnungen geschädigt haben. Das Strafgericht wurde im Laufe der Jahre zum heute noch bestehenden Landesgericht für Strafsachen, zeitweilig trug dieses den Beisatz „I“ (vulgo: „Einser Landl“), weil es am Hernalser Gürtel ein zweites Straflandesgericht gab. Im Volksmund heißt es meist das „Graue Haus“ – wegen seines ebensolchen Anstrichs. Das „Landl“ über die Jahre wurde baulich stufenweise erweitert. Ein Trakt mit dem historisch wertvollen Großen Schwurgerichtssaal kam hinzu, ebenso ein zusätzliches Stockwerk. In den 1980er-Jahren des 20. Jahrhunderts wurde ein wuchtiger Block angebaut. Dieser Bereich war fortan das landesgerichtliche Gefangenenhaus. Das größte Gefängnis Österreichs. Und das im dicht bewohnten Stadtgebiet, quasi mitten in Wien.

„Immer überlegt.“ Insgesamt 1200 Insassen zählt die „Josefstadt“ heute. Das Areal ist eine Männerwelt. Derzeit sind nur um die 80 Gefangene weiblich. Unterteilt nach Alter gibt es aktuell circa 30 Jugendliche (14. bis 18. Geburtstag) und 60 junge Erwachsene (18. bis 21. Geburtstag). Insgesamt 1200 Köpfe. Gebaut wurde das Gefängnis für maximal 921 Personen. Anstaltsleiterin Helene Pigl sieht dies mit einer Portion Fatalismus: „Wir sind immer überbelegt.“

Es war Juni 2013, als eine Nachricht aus dem Inneren des wuchtigen Betonkomplexes ihren Weg in die Außenwelt fand: Ein 14-jähriger U-Häftling (frühestens mit 14 kann man in U-Haft kommen, davor ist man nicht strafmündig), ein mutmaßlicher Straßenräuber, wurde von einem 16-jährigen Mithäftling mit einem Besenstiel vergewaltigt. Zwei ebenfalls 16-jährige Zellengenossen sahen zu. Vielleicht war die – sehr unpassende, später mit Bedauern zurückgenommene – Reaktion der damaligen ÖVP-Justizministerin Beatrix Karl, „Der Strafvollzug ist nicht das Paradies“, letztlich der Grund dafür, dass nach der Nationalratswahl im September 2013 mit Wolfgang Brandstetter ein neuer Justizminister ans Ruder kam. Doch nur der Austausch von Köpfen an der Ressortspitze lässt Probleme nicht verschwinden. Das muss Brandstetter bei Amtsantritt klar gewesen sein. Denn er zeigt sich seither wild entschlossen, den Vollzug zu reformieren. Aber welche Probleme eigentlich?

Zur Illustration ein paar Zahlen: Unter der Woche werden in der Josefstadt pro Tag 180 bis 220 Insassen im Rahmen von Vorführungen in spezielle Räume gebracht, wo sie entweder von Haftrichtern einvernommen werden oder sich mit ihren Anwälten besprechen können. Diese Bewegungen fordern Bewachungspersonal. Täglich werden ungefähr 100 Insassen einem Arzt vorgeführt. Zudem erhalten werktags 150 bis 180 Insassen Besuche von Angehörigen. Dabei können jeweils bis zu drei Personen auf Besuch kommen (als U-Häftling darf man zweimal pro Woche je eine halbe Stunde Besuch empfangen). 40.000 bis 45.000 Besuche von Angehörigen sind es pro Jahr. Das muss organisiert werden. Und: Ein zentraler von der Josefstadt ausgehender „Überstelldienst“ transportiert wöchentlich etwa 200 Menschen, zum Beispiel für Verlegungen von der oder in die Anstalt.

Psychiater fehlen.
Prinzipiell wäre die Josefstadt als U-Haft-Gefängnis konzipiert. Die durchschnittliche Dauer einer Untersuchungshaft beträgt drei Monate. Nur ein Viertel der Insassen sitzt hier eine Strafhaft ab. Und das auch nur, wenn es sich um eher kurze Haftstrafen handelt. Damit liegt – abgesehen von den oben erwähnten Zahlen, die so hoch nirgendwo anders in Österreich zu finden sind – die große Besonderheit auf der Hand: „Wir kriegen die Leute frisch von der Polizei, viele sind psychisch angeschlagen, desorientiert, und es gibt mehr Drogenabhängige als früher“, erklärt Wachkommandant Roland Hrdlicka der „Presse am Sonntag“. Und: „Wir richten die Leute her.“ Dieses „Herrichten“ – manchen Eingelieferten ist ein geregelter Tagesablauf völlig fremd – braucht mitunter psychiatrisches Personal. „Aber nur ein Psychiater ist 40 Stunden in der Woche da“, sagt Pigl. „Wir bräuchten mindestens noch eine Ganztagskraft.“

Das Jugend-Problem. Nächste Besonderheit, so Kommandant Hrdlicka: „Wir sind fremdbestimmt. Wenn ein Richter einen Lokalaugenschein mit einem Häftling will, muss die Justizwache ausrücken.“ So könne man nicht planen. Jeder Beamte, der nicht im Haus ist, geht bei der Beaufsichtigung der Insassen ab, etwa innerhalb der gefängniseigenen Werkstätten. Die Folge: Häftlinge, die zu diesen Zeiten eigentlich gern einer Beschäftigung nachgehen würden (Näherei, Bäckerei, Tischlerei etc.), werden dann mangels Aufsichtspersonal in ihre Hafträume gesperrt.

Pigl zeigt aber einen Ausweg auf: Es sollten in Hinkunft keine Haftantritte mehr in der Josefstadt anfallen. Also: Wer schon verurteilt ist und eine Haftstrafe absitzen muss, soll von Anfang an, auch wenn es eine kurze Strafe ist, in einer anderen Anstalt unterkommen. Das würde die Insassenzahl verringern. Und bei weniger Insassen, hätte auch die Justizwache den nötigen Spielraum. Zu einer Reduktion der Häftlingszahl käme es auch, wenn alle jungen Häftlinge (Jugendliche, junge Erwachsene) konsequent in das Jugendgefängnis Gerasdorf (NÖ) eingeliefert würden. Ein Vorhaben, dass seit Jahren von allen prinzipiell bejaht – aber nur zum Teil umgesetzt wird.

Justizanstalt Stein: Der ewige Problemfall


„Die Klausur bietet uns den Raum der Stille für die enge Verbindung mit Christus“ – in diesem Sinne hatten die Redemptoristinnen in ihrem „Orden vom Heiligsten Erlöser“ einst ihr Kloster in Stein an der Donau genutzt. 1850 kaufte der Staat die Anlage und wandelte sie in ein k. u. k. Österreichisches Zellengefängnis um. Fortan büßten dort, wo einst Klosterfrauen strenge Klausur hielten, Straftäter gleichsam ihre Sünden ab. Im Laufe der Jahrzehnte wuchs das Gelände durch Um- und Zubauten auf eine respektable Größe von 58.000 Quadratmetern.

Heute können in der Justizanstalt Stein 730 Insassen (nur Männer) mit einer Strafdauer von mehr als 18 Monaten bis hin zu lebenslänglicher Haft untergebracht werden. Theoretisch. 784 Gefangene sind es dieser Tage. Davon sitzen 14 im Hochsicherheitstrakt und 106 in jenen Abteilungen, die für die Unterbringung von geistig abnormen Rechtsbrechern adaptiert wurden d.h. für jene Personen, die laut Gesetz eine Straftat „unter dem Einfluss einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grade begangen haben“ (aber ansonsten durchaus zurechnungsfähig sind). Man spricht bei dieser Gruppe (und auch bei jenen, die nicht zurechnungsfähig sind) von einem Maßnahmenvollzug. Denn: Die Anstaltsunterbringung wird nicht als Strafe, sondern als vorbeugende Maßnahme eingestuft.

Anstaltsunterbringung? Dieser Begriff suggeriert, dass die betreffenden Personen eben in einer psychiatrischen Anstalt angehalten werden. In Wahrheit ist ein Gutteil der österreichweit insgesamt 840 dem Maßnahmenvollzug zugeteilten Personen gar nicht in (eigenen) Anstalten, sondern einfach in Gefängnisabteilungen untergebracht. Mehr als hundert sind es in Stein. Einer davon hat es zu trauriger Berühmtheit gebracht: Der seit 2008 in der „Maßnahme“ fixierte Pensionist S. Der 75-Jährige ist jener schwer vernachlässigte Mann, dessen mit alten Bandagen umwickelten Beine so grobe hygienische Probleme aufgewiesen haben, dass Verwesungsgeruch über seiner Zelle lag. Erst nach öffentlichem Aufschrei wurde der Mann in die Spezialanstalt Wien-Mittersteig überstellt.

Mächtiges Personal. Genau dies ist der Schlüssel für die Entlastung von Stein, wo es viel zu wenig medizinisches Personal gibt: die Verlegung der Kranken in geeignete Einrichtungen. Begonnen wurde damit: Zuletzt kamen drei Männer in das – im Ausbau befindliche – oberösterreichische Zentrum Asten, drei in die Sonderanstalt Göllersdorf (NÖ). Ein Anfang, mehr nicht. Außerdem ist da noch dieses „Justizwache-Problem“ in Stein. Es manifestierte sich vor Kurzem in einer geradezu bizarr wirkenden Veranstaltung: Personalvertreter hatten zu einer Versammlung gerufen, um dort über den Verbleib von Gefängnisdirektor Bruno Sladek abzustimmen (die ÖVP stellt in Stein die stärkste Fraktion). 109 Justizwachebeamte, ein Drittel der Belegschaft, war anwesend. Und sprach sich mit großer Mehrheit (100 Stimmen!) für eine Ablöse ihres Chefs aus. Freilich ohne jede rechtliche Wirkung. Aber es sagt sehr viel über die „klimatischen“ Verhältnisse in der Anstalt aus. „Man sagt mir nach, ich sei zu sehr für die Insassen da und zu wenig für die Beamten“, erklärt Brigadier Sladek das Dilemma.

Erste Entlastung. Trotz des Misstrauensvotums gab es nun eine Einigung zur Entlastung des Personals: Im Juli und im August werden die Betriebe jeden zweiten Freitag geschlossen gehalten. Und an Montagen gibt es keine Besuche. Für die Gefangenen heißt das (siehe oben): ausharren in den versperrten Zellen. Doch das Wachpersonal atmet auf. 54 Planstellen würde er zusätzlich brauchen, sagt Sladek. Ein entsprechender Antrag liegt längst an höherer Stelle. Dabei wären nicht nur zusätzliche Leute wichtig. Auch das überzogene (politische) Mitspracherecht der Personalvertreter müsste eingedämmt werden. Wird beispielsweise auch „nur“ ein neuer Leiter für einen der 27 Betriebe in Stein gesucht (Beispiel: Tischlerei), muss Direktor Sladek dem Dienststellenausschuss mitteilen, welchen Bewerber er nehmen möchte.

Gerade in Gefängnisbetrieben – dort, wo Häftlinge einen gewissen Spielraum haben – ist Führung (auch im übertragenen Sinne) unabdingbar: Sobald diese fehlt, bildet sich ein Capo-System. Das heißt, Häftlinge nehmen das Zepter in die Hand. Wer – physisch oder finanziell – am stärksten ist, schafft an. Andere Eingesperrte haben zu gehorchen. Das kann niemand wollen. Und es hat auch mit Resozialisierung nicht viel zu tun.

Probleme & Ideen

Josefstadt.Die Justizanstalt Josefstadt in Wien hat derzeit 1200 Insassen. Gebaut wurde das Gefängnis für maximal 921 Personen. Sie ist eigentlich als U-Haft-Gefängnis konzipiert. Vorschläge zur Verbesserung der Situation sind daher: Alle Haftantritte sollten in anderen Gefängnissen stattfinden. Jugendliche sollten ins Jugendgefängnis Gerasdorf gebracht werden.

Krems-Stein.In der Justizanstalt Stein können 730 Insassen mit einer Strafdauer von mehr als 18 Monaten bis hin zu lebenslänglicher Haft untergebracht werden. Derzeit sind es aber 784 Gefangene. Davon sitzen 14 im Hochsicherheitstrakt und 106 in jenen Abteilungen, die für die Unterbringung von geistig abnormen Rechtsbrecherngedacht sind.

Stein braucht einerseits zusätzliches Personal, andererseits laboriert das Gefängnis an einem internen Konflikt. Die Macht der Personalvertreter müsste eingedämmt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

#99ideen

Sozialkompetenz via App lernen

Während Unternehmen über mangelnde soziale Fertigkeiten von Jugendlichen klagen, erarbeiten Experten Übungen für soziales Lernen.
Symbolbild
#99ideen

In Kursen lernen, Pensionist zu sein

Ingrid Korosec, die Vizechefin des ÖVP-Seniorenbundes, wünscht sich Orientierungskurse zum Pensionsantritt. Die Pension soll besser geplant werden.
Home

Freiwilligenarbeit: Pensionisten zur Feuerwehr, Sanitäter ins TV

3,3 Millionen Österreicher engagieren sich ehrenamtlich. Damit das so bleibt, fordern die betroffenen Institutionen steuerlich absetzbare Zeitspenden und finanzielle Zuschüsse für Aus- und Weiterbildungen von Freiwilligen.
Jugendrichterin Beate Matschnig
#99ideen

Jugendrichterin: „Häftlinge sollen mit Bus zur Arbeit“

Gefangene sollen außerhalb der Haftanstalt arbeiten dürfen, fordert Jugendrichterin Beate Matschnig. Das verbessere die Resozialisierung und entlaste die Gefängnisse.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.