"Der Patient weiß oft mehr über seine Symptome als der Arzt"

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Ellen Nolte, Direktorin der Abteilung Gesundheit im Forschungsinstitut Rand Europe, fordert bessere Kommunikation im Gesundheitswesen: Ärzte sollten vor allem chronisch Kranke etwa bei der Erstellung von Behandlungsplänen stärker einbinden.

Die Presse: Sie werden heute bei einem sehr komplexen Thema versuchen, Klarheit zu schaffen: bei der Kommunikation im Gesundheitsbereich. Was erwartet die Besucher?

Ellen Nolte: Wir wollen nicht nur die Kommunikation zwischen Arzt und Patient betrachten. Es geht auch darum, wie die Kommunikation des Gesetzgebers aussieht, und welche Möglichkeiten und Probleme für Gesundheitsanbieter sich ergeben. Ich werde das am Beispiel der chronischen Erkrankungen erklären.

Warum?

Sie nehmen sehr stark zu. Und sie stellen das Gesundheitssystem, das auf Akutversorgung ausgerichtet ist, vor Herausforderungen. Bei der Akutversorgung wird ein Problem geheilt, danach lebt der Mensch normal weiter. Bei chronischen Erkrankungen ist das nicht so. Wie kann man darauf also reagieren?

Nun - wie denn?

Der Patient muss stärker in die Behandlung miteingebunden werden. Das ist ein relativ neuer Ansatz. Wir wollen darüber sprechen, wie Kommunikation dabei helfen kann: Zwischen verschiedenen Anbietern, zwischen Arzt und Patient.

Kommunikation im Sinne des Patienten sollte heute doch selbstverständlich sein. Warum tut man sich da offenbar so schwer?

Das ist eine Mischung aus mehreren Faktoren: Etwa, dass die Versorgung nicht darauf ausgerichtet ist, den Patienten als Partner zu sehen, der bei chronischen Erkrankungen oft mehr über Symptome weiß als der Arzt. Das müsste man ändern. In der Ausbildung sieht man auch oft den Arzt als Vermittler des Fachwissens, den Patienten als Empfänger.

Wie kann man das ändern?

Es gibt viele Projekte, auch in Österreich: Bei der Diagnose Diabetes wird der Patient eingeladen, einen Behandlungsplan mitzuentwickeln. Patienten sollten sich ja der Verantwortung nicht ganz entziehen. Dafür braucht auch Schulungen, um ihn mit bestimmten Fähigkeiten auszustatten. Patienten brauchen auch eine Person, die sie dabei begleitet.

Ärzte und Pflegepersonal sind jetzt schon zum Teil überfordert. Fehlt dafür nicht die Zeit - oder, richtiger, das Personal?

Problematisch ist, dass viele medizinische Institutionen untereinander nicht so stark kommunizieren. Der Facharzt, der Spitalsarzt, der Hausarzt. . . Sie alle führen eine eigene Akte. Aber es gibt auch keine Anreize, um zusammenzuarbeiten: Etwa für Ärzte, um den Kontakt mit Therapeuten zu verstärken. Der Gesetzgeber müsste das ändern. In der Ausbildung könnte man den Fokus stärker auf Teamarbeit legen.

In Österreich gibt es die Elektronische Gesundheitsakte Elga, die bald Patientendaten online bündeln und erfassen soll. Wie schätzen Sie dieses Projekt ein?

Im Detail kann ich Elga nicht beurteilen. Aber ich habe mich schon mit anderen, ähnlichen Pilotprojekten beschäftigt. Bei denen war ein Problem, dass die Kommunikation über elektronische Systeme oft nicht optimal funktioniert hat. Elektronische Akten sind aber wichtig, damit Anbieter die gleiche Informationen zur richtigen Zeit haben. Aber auch, um den Patienten selbst einen Überblick über seine Daten zu geben.

Die Ärztevertreter sind skeptisch.

Ein Problem ist: Das Angebot wird meist nur von der Bevölkerungsschicht wahrgenommen, die eher gebildet ist und ein höheres Einkommen bezieht. Jene, die es dringender bräuchten, haben in vielen Fällen keinen Zugang. Das müsste der Anbieter ändern. Zusammenfassend: Elga ist wichtig, um die Kommunikation zu verbessern, kann aber den persönlichen Kontakt nicht ersetzen.

Veranstaltung

Heute, Dienstag, um 11:15 Uhr referiert Ellen Nolte (Bild) im Congress Centrum über modernere Kommunikation in der medizinischen Grundversorgung. Nolte ist Direktorin der Abteilung für Gesundheit bei der Denkfabrik Rand Europe in Cambridge. Zuvor arbeitete die studierte Biologin als Research Officer an der London School of Hygiene and Tropical Medicine.

In Alpbach diskutieren heute mit Nolte unter anderem Helmut Brand, Jean Monnet Professor of European Public Health, Olivia Wigzell vom schwedischen Gesundheitsministerium und Francois Schellevis vom Netherlands Institute for Health Services Research in Utrecht. privat

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