Ferguson-Unruhen: Die Rambo-Mentalität der US-Polizei

USA MISSOURI SHOOTING
USA MISSOURI SHOOTINGAPA/EPA/LARRY W. SMITH
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Das brutale Vorgehen der US-Sicherheitsbehörden hat hausgemachte Gründe. Die Polizei bekommt seit Jahren immer weniger taugliche Rekruten.

Washington. Weder der Einsatz von Soldaten der Nationalgarde noch die Aufhebung des nächtlichen Ausgangsverbotes hat gefruchtet: In der Nacht auf Dienstag kam es in der Kleinstadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri erneut zu gewalttätigen Zusammenstößen. Elf Tage nach der Erschießung eines schwarzen unbewaffneten Jugendlichen durch einen weißen Polizisten verhafteten die Behörden 31 Personen, nachdem mit scharfer Munition auf Beamte geschossen worden war. Einige Unruhestifter und Gewalttäter waren von weit her nach Ferguson gereist, um sich mit der Polizei Straßenschlachten zu liefern und zu plündern. Unter den Verhafteten befanden sich Männer, die aus Los Angeles und New York in die rund 21.000 Einwohner zählende Gemeinde nahe des internationalen Flughafens von St. Louis gekommen waren.

Europäer verhaftet

Allerdings bemühen sich die örtlichen Sicherheitskräfte nicht nennenswert um eine Beruhigung der Lage. Vielmehr setzten sie ihre seit Tagen andauernden Verhaftungen von Journalisten fort, die über die Krawalle berichten – erstmals auch europäische: Die US-Korrespondenten der „Welt“ und „Bild-Zeitung“ wurden ebenso für mehrere Stunden eingesperrt wie ihr Kollege vom „Standard“. Die Polizisten begründeten ihre Verhaftungen damit, dass sie nicht schnell genug gegangen seien.

Das bisweilen offen feindselige Verhalten amerikanischer Polizisten fällt vielen Europäern während ihren Aufenthalten in den USA auf. Der tägliche Umgang mit den Abgründen der Gesellschaft ist für Ordnungskräfte in allen Ländern eine charakterliche Prüfung. Für die besondere Härte, Unhöflichkeit und Unfähigkeit vieler amerikanischer Polizeibeamter, mit harmlosen Bürgern normalen Umgang zu pflegen, gibt es besondere Gründe.

Am schwersten wiegt der Schwund an tauglichen Kandidaten für den Polizeidienst. In den späten 1990er-Jahren begann die Generation der Babyboomer, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, in Pension zu gehen. Die Babyboomer waren besonders zahlreich; ihr kollektiver Ruhestand schlägt folglich eine große Lücke in den Personalstand.

Zu fett, zu dumm, zu süchtig

Diese lässt sich immer schwerer füllen. Denn zu viele junge Amerikaner sind für den Dienst in Uniform untauglich. Sie sind zu fett, zu ungebildet und hängen zu oft am Rauschgift, vor allem an Cannabis. Die Rand Corporation hat dieses Problem im Jahr 2010 im Auftrag des Justizministeriums erforscht. Fast jeder zweite 18-Jährige habe schon einmal Marihuana geraucht, jeder vierte eine andere verbotene Droge konsumiert, resümiert die Studie. Damit fallen viele junge Männer und Frauen durch die verpflichtenden Drogentests. Immer mehr Junge sind körperlich untauglich. Die Fettleibigkeitsrate der amerikanischen Jugendlichen hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr als verdreifacht.

Und schließlich sind viele derer, die sich für die Polizeischule bewerben, zu ungebildet für diesen Beruf. Weiterbildende Ausbildungen an Colleges und Universitäten kosten immer mehr, die Verschuldung der akademischen Jugend Amerikas steigt. Wer sich diese Kosten aufbürdet, kann sie im öffentlichen Dienst, wo auch in den USA bei den Gehältern gespart wird, kaum verdienen. Die Studienautoren weisen auf das Ergebnis dieser Entwicklungen: Junge Leute sind zusehends unwillens, sich in Hierarchien einzufügen. Also bekommen die Polizeibehörden aus der Gesamtmenge an tauglichen Jungen jene, die besonders obrigkeitshörig sind und kaum selbstständig handeln können.

1974: Erster Sondereinsatz

Dazu kommt die zuletzt breit diskutierte Militarisierung der amerikanischen Polizeiarbeit. Sie begann 1974, als das erste SWAT-Team in Los Angeles gegen Terroristen der Symbionese Liberation Army vorging. SWAT steht für Special Weapons And Tactics. Spezielle Waffen und Taktiken werden seither nicht nur gegen Schwerverbrecher und Terroristen eingesetzt, sondern auch für Hausdurchsuchungen, bei denen kein Anlass für bewaffneten Widerstand zu vermuten ist. Seit den 1980er-Jahren ist die Zahl der Einsätze von Überfallkommandos um 1400 Prozent gestiegen – dabei gab es damals, anders als heute, ein schweres und gewalttätiges Drogenproblem.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2014)

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