Verhandlungen über Waffenruhe sind vorerst gescheitert. Katar setzt angeblich Hamas-Chef unter Druck.
Jerusalem. Nach zehn Tagen relativer Ruhe flammte der Gaza-Krieg erneut auf. Bereits kurz vor Ablauf der Waffenruhe schossen Islamisten in der Nacht auf Mittwoch vereinzelt Raketen auf Israel ab. Doch es war der Versuch Israels, Mohammed Deif, den Militärchef der Hamas, zu töten, der die Gefechte im Gazastreifen erneut eskalieren ließ.
Die massive Angriffswelle der Hamas setzte erst nach der israelischen Bombardierung des Hauses ein, in dem Deif vermutet wurde. Die 28-jährige Ehefrau Deifs und sein acht Monate alter Sohn kamen bei dem Luftangriff ums Leben. Ob Deif selbst überlebte, blieb zunächst offen. „Uns bleibt keine Wahl, als zu kämpfen und zu siegen“, kommentierte ein Hamas-Sprecher am Mittwoch in Gaza. Den israelischen Angriffen fielen 20 Palästinenser zum Opfer.
Mit seltener Überstimmung stützte die Koalition von Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu, den Versuch, Deif zu töten. „Die gezielte Exekution von Terroristen ist nicht nur legitim, sondern wünschenswert“, kommentierte sogar Justizministerin Tzipi Livni, die den linken Flügel in der Regierung repräsentiert. Seit Jahren steht Deif ganz oben auf der Abschussliste des israelischen Inlandsgeheimdienstes, Shin Beth. Der Chef der militanten Hamas-Brigaden gilt als Drahtzieher der Raketenangriffe und als Architekt für den Bau geheimer Tunnel. Er ist „ein toter Mann“, erklärte jüngst Finanzminister Jair Lapid. Für die Israelis ist Deif die Verkörperung alles Bösen, im Gazastreifen wird er als Held verehrt.
Isolation der Hamas
Der palästinensische Verhandlungsführer, Assam al-Achmad, machte Israel für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich. Die ersten drei Raketenangriffe reichten aus, um die israelische Delegation aus Kairo, wo die Verhandlungen unter ägyptischer Vermittlung stattfanden, abreisen zu lassen. „Es gab keine Toten, kein Zimmer wurde zerstört“, schimpfte al-Achmad über die harsche Reaktion der Israelis, die „nicht ernsthaft eine Lösung erreichen wollten“.
Israel gerät zwar auf internationaler Bühne zunehmend unter Druck. Im eigenen Land genießt Netanjahu jedoch nach wie vor breite Zustimmung für das massive Vorgehen im Gazastreifen. Die Bevölkerung hofft auf eine langfristige Lösung für die Raketenbedrohung. Israel steckt das Ziel diesmal höher als bei früheren militanten Auseinandersetzungen mit der Hamas und weicht von der Forderung einer Entmilitarisierung des Gazastreifens nicht mehr ab. Die Hoffnung wird genährt durch die Tatsache, dass die Hamas derzeit international isoliert ist. Die Islamisten haben ihre finanziellen Ressourcen aufgebraucht, die Rüstungsvorräte schrumpfen mit jedem Tag.
Erpressung des Politbüro-Chefs?
Die Kämpfer Mohammed Deifs terrorisieren Israel, und sie waren es auch, die die Führung der Fatah-Fraktion mit Gewalt vor sieben Jahren aus dem Gazastreifen vertrieben. Erst infolge der internationalen Isolation ließen sich die palästinensischen Islamisten auf den Schlichtungsprozess mit der Fatah im Westjordanland ein. Anfang Juni besiegelten die beiden Fraktionen die Gründung einer Einheitsregierung und schoben die tiefen ideologischen Unterschiede offiziell beiseite. Die aktuellen Gefechte sind für die Hamas auch eine Chance, innenpolitisch zu punkten, vorausgesetzt, sie erreicht bei den Verhandlungen um einen Waffenstillstand erkennbare Verbesserungen der Lebensumstände im Gazastreifen.
Die großen Entscheidungen treffen indes weder die Kassam-Brigaden noch die Hamas-Führung in Gaza, sondern das Politbüro im Exil, allen voran Khaled Mashal. Offenbar gab Mashal dem Druck seines Gastlandes Katar nach, als er die Position der Hamas bei den Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo verhärtete. Ein hoher Fatah-Funktionär beschuldigte die Regierung in Doha, Mashal mit dem Landesverweis gedroht zu haben, sollte er dem ägyptischen Waffenstillstandsvorschlag zustimmen. Die Regierung in Kairo hatte Katar von den Verhandlungen ausgeschlossen. Die Regierung in Doha könnte Mashal vor ein Ultimatum gestellt haben, mutmaßt auch der israelische Terrorexperte Jonathan Fein.
AUF EINEN BLICK
Nahost. Die Verhandlungen Israels mit der Hamas in Kairo über eine Waffenruhe sind in der Nacht auf Mittwoch gescheitert. Die Hamas lancierte daraufhin erneut rund 100 Raketenangriffe gegen Israel, die israelische Luftwaffe bombardierte Ziele im Gazastreifen – unter anderem das Haus Mohammed Deifs, des Führers der Kassam-Brigaden, des militärischen Arms der Hamas. Die Frau und ein Sohn Mohammed Deifs – des „Tunnel-Strategen“ – kamen dabei ums Leben, das Schicksal Deifs selbst blieb ungewiss.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2014)