Industrie 4.0: Wenn die Revolution nach Österreich kommt

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Die totale Digitalisierung der Produktion wird die Arbeitswelten der Zukunft bestimmen. Auch in der österreichischen Politik ist das Thema angekommen. Aber welche Herausforderungen erwarten uns eigentlich?

Manches dauert in Österreich eben etwas länger. Das kann sogar für Revolutionen gelten. Beim diesjährigen Forum Alpbach schien die Zeit dann aber doch reif gewesen zu sein. Unter dem Schlagwort Industrie 4.0 wurde dort bei den Technologiegesprächen („Die Presse“ ist Medienpartner) für Österreich die sogenannte vierte industrielle Revolution eingeläutet.

Die Politik öffnet sich damit einer Entwicklung, die in Wahrheit schon lange begonnen hat – für viele Menschen aber immer noch nicht greifbar ist. Denn die Schlagwörter Smart Factory, Machine Learning und Internet of Things mögen gut klingen. Was genau hinter der proklamierten Revolution steht, lassen sie aber dennoch im Dunklen. „Die Presse“ nähert sich wichtigen Fragen rund um die Industrie 4.0 an.

1. Was genau ist mit der vierten industriellen Revolution gemeint?

Der Begriff weckt Assoziationen zu den großen industriellen Revolutionen der Vergangenheit – als durch die Einführung mechanischer Produktionsanlagen in den 1780er-Jahren, die arbeitsteilige Massenproduktion mittels Fließband um 1870 und zuletzt durch den Einsatz von Elektronik und IT ganze Arbeitswelten und auch Gesellschaftssysteme infrage gestellt werden mussten. Die vierte Revolution bezeichnet demgegenüber die Digitalisierung der Produktion, durchgeführt von „smarten“ Maschinen.

Eingebürgert hat sich für sie der Begriff der cyber-physischen Systeme. Gemeint ist, grob gesagt, der Verbund von softwaretechnischen Komponenten und mechanischen Teilen, die über eine Dateninfrastruktur, etwa das Internet, kommunizieren. Die Experten sind sich einig: Der Begriff der Revolution ist keinesfalls zu hoch gegriffen. Und: In der Industrie ist sind die smarten Maschinen schon Realität.

2. Wie kann man sich Industrie 4.0 in der Realität vorstellen?

Der Begriff Industrie 4.0 stammt – und das mag überraschen – nicht aus den USA, sondern wurde in Deutschland geprägt. Das Bild, das Experten unter diesem Schlagwort zeichnen, mutet immer noch ein bisschen wie Science-Fiction an.

Die Fertigungsmaschinen der Zukunft sind mit Prozessoren, Sensoren und Funkverbindungen ausgestattet. Sie kommunizieren selbstständig miteinander und mit den Produkten, die sie fertigen. Sie organisieren sich selbst und optimieren ihre Abläufe: Die smarten Maschinen überprüfen selbst die Lager- und Produktionsstände, bestellen nach, rüsten um. Auch auf Störungen und Ausfälle wird rasch, flexibel und selbsttätig reagiert. Der große Vorteile: Die Massenproduktion wird dadurch individualisiert. Kundenwünsche sind rascher umsetzbar. Auch kleine Chargen oder gar Einzelstücke können kostengünstig produziert werden. Die Angst: In einer Fabrikshalle voller intelligenter Roboter wird eines nicht gebraucht: der Mensch. Vor allem, wenn die Maschinen zunehmend von sich selbst lernen – wie der in Cambridge tätige Physiker Hermann Hauser beim Podiumsgespräch in Alpbach ausführte: „Alles, was ein Mensch lernen kann, kann eine Maschine besser lernen.“ Und: Spätestens 2050 rechne er mit „Superintelligenzen“, die klüger sind als Menschen.

3. Welche Auswirkungen hat die Revolution auf den Arbeitsmarkt?

Wie groß der Einfluss der Digitalisierung nicht nur auf die Industrie, sondern auf alle beruflichen Bereiche ist, machte Wilhelm Bauer, Leiter des Instituts für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement an der Uni Stuttgart, in Alpbach mit einem einfachen Versuch klar: „Wenn ich Ihnen allen die Tablets und Smartphones wegnehme, wer kann dann noch seine Arbeit machen?“ Im prall gefüllten Vortragssaal wurden – zögerlich – gerade einmal drei Hände gehoben.

In die herrschende Angst vor der menschenleeren Arbeitswelt wolle er dennoch nicht einstimmen, so Bauer. „Aus Sicht der Arbeitsforschung ist die Entwicklung sogar positiv.“ Denn verschwinden würden in Zukunft vor allem „schlecht bezahlte Jobs – in kalter oder sehr heißer, lauter Umgebung“. Während „interessante neue Jobs“ entstünden – vor allem in Forschung und Entwicklung. Studien, wie etwa eine aktuelle Fraunhofer-Umfrage stützen das Bild: So halten 96 Prozent der Unternehmer den Faktor Mensch in der Produktion auch in Zukunft für „wichtig oder sehr wichtig“. Wenn auch an anderer Stelle in der Wertschöpfungskette. Der Trend hat bereits voll eingesetzt: In Deutschland etwa ging die Beschäftigung im Produktionsbereich in den vergangenen zehn Jahren um acht Prozent zurück, obwohl die Produktivität weiter stieg.

4. Welche Aktionen werden in Österreich nun gesetzt?

Die europäische Industrie ist bereits jetzt ins Hintertreffen geraten. Bei der Entwicklung smarter Systeme vertraut man auf Maschinen und Technologie aus dem asiatischen und dem US-amerikanischen Raum. Als Gründe dafür nennen Experten unter anderem zu geringen Aufwendungen im Bereich von Forschung und Entwicklung aber auch Schwächen bei der Technikerausbildung.

In Österreich will sich die Politik nun verstärkt des Themas annehmen. Als Grundlage für Industrie 4.0 kann der Ausbau des Hochleistungsinternets gelten, der mit der sogenannten Breitbandmilliarde vorangetrieben wird.

In den kommenden zwei Jahren will das Infrastrukturministerium, wie angekündigt, weitere 250Millionen Euro in den Bereich fließen lassen. Diese werden über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG, Investitionszuschüsse der Austria Wirtschaftsservice GmbH und Pilotfabriken – die erste startet 2015 an der TU Wien – fließen, in denen etwa Produktionsprozesse getestet werden können. Im Herbst werden drei Stiftungsprofessuren geschaffen.

Die Presse

Das Wissenschaftsministerium wiederum stellt 30 Millionen Euro für Industrie-4.0-Prozesse zur Verfügung, das Geld wird für 2014 und 2015 ausgeschrieben. Andere Institutionen hängen sich nun an die Initiativen an: Die Industriellenvereinigung etwa will alle Aktivitäten in dem Bereich auf einer Plattform vernetzen. (chs)

AUF EINEN BLICK

Gemeingut. In immer mehr wissenschaftlichen Feldern wächst die Bedeutung von öffentlich geteilten Forschungsergebnissen und Daten.
So wird derzeit etwa schon im Bereich der Lebenswissenschaften verstärkt

mit öffentlichen Informationsplattformen gearbeitet.

Bekanntes Beispiel ist das Human Genome Project, bei dem die Sequenz des menschlichen Erbguts öffentlich zur Verfügung gestellt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2014)

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