Massaker in Moschee stürzt den Irak tiefer ins Chaos

Members of the Iraqi security forces take part in an intensive security deployment at a checkpoint in the city of Baquba
Members of the Iraqi security forces take part in an intensive security deployment at a checkpoint in the city of Baquba(c) REUTERS
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Eine Schiiten-Miliz erschoss in einem sunnitischen Gotteshaus rund 70 Menschen. Ein schwerer Schlag für den designierten Premier.

Bagdad. Während die USA gerade ihre Irak/Syrien-Strategie der Realität anpassen und über Angriffe auf die Terrormilizen des Islamischen Staats (IS) auch in Syrien nachdenken, haben sich auf dem Boden die Koordinaten schon wieder verändert: Am Freitag kam es in einer Dorfmoschee 60 Kilometer von der irakischen Stadt Baquba im Osten des Landes zu einem Massaker in einer sunnitischen Moschee. Bewaffnete, die allem Anschein nach einer schiitischen Miliz angehören, stürmten das Gotteshaus und eröffneten das Feuer auf die Gläubigen, die sich zum Freitagsgebet versammelt hatten. Die Opferzahlen gingen stündlich in die Höhe, am späten Nachmittag war bereits von rund 70 Todesopfern die Rede.

Es wäre dies der erste große Racheakt einer Schiitenmiliz gegenüber Sunniten, seit die (sunnitischen) IS-Kämpfer Ende Juni in den von ihnen beherrschten Gebieten Syriens und des Iraks ein Kalifat und eine religiös verbrämte Schreckensherrschaft errichtet haben, die sich gleichermaßen gegen Schiiten, Christen und andere Minderheiten richtet.

Im Irak werden durch den Anschlag Erinnerungen an die dunkelsten Zeiten des konfessionellen Bürgerkriegs wach, der das Land im Kielwasser der US-Invasion 2003 erschütterte und an den Rand des Zerfalls brachte. Damals waren wechselseitige Angriffe von sunnitischen und schiitischen Milizen auf die Gotteshäuser der jeweils anderen Konfession quasi an der Tagesordnung. Den Höhepunkt erreichte diese Gewaltwelle in den Jahren 2006 und 2007.

In Baquba, wo vom Iran ausgebildete schiitische Milizen traditionell stark sind, ist es bereits im Juli zu einer Gräueltat gekommen: Bewaffnete Schiiten töteten 15 Sunniten und hängten ihre Leichen an Strommasten auf, wie die Polizei berichtete.

Nationalisten kämpfen für Islamisten

Der Angriff ist ein schwerer Rückschlag für die Bemühungen des designierten schiitischen Premiers Haider al-Abadi, eine überethnische und überkonfessionelle Regierung in Bagdad zu bilden, die die Spaltung im Land überwinden soll. Die Hauptaufgabe für al-Abadi ist es, die Sunniten einzubinden, die durch die dezidiert anti-sunnitische Politik seines Vorgängers Nouri al-Maliki entfremdet wurden. Zahlreiche sunnitische Clans haben sich deshalb den ebenfalls sunnitischen Terrormilizen des Islamischen Staats angeschlossen, obwohl sie selbst eher Nationalisten als Islamisten sind. (Reuters)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2014)

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