Die pöbelhafte Elite im alten Rom

Auch Julius Caesar wurde geschmäht.
Auch Julius Caesar wurde geschmäht.Clemens Fabry
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Wie vorbildlich war die Streitkultur früher? Berühmte antike Autoren schrieben ärgste Schmähtexte, große Humanisten schimpften, was das Zeug hielt. Heute wäre das tabu.

Wo „postete“ man, als es noch kein Internet gab, nicht einmal Zeitungen, an die man böse Leserbriefe schicken konnte? Zum Beispiel auf der Straße, an einem auffallenden Punkt, in Rom etwa auf einer Statue. So ist ein italienischer Schneider namens Pasquino in die Geschichte eingegangen. Dieser frühe „Street Writer“ begann im Rom des 16. Jahrhunderts an einem Torso des Menelaos Schmäh-Epigramme anzubringen. Studenten, Professoren und Dichter machten es ihm nach. Die „sprechenden Statuen“ wurden mehr, eine „antwortete“ sogar regelmäßig auf Pasquinos Beleidigungen. Davon abgeleitet hat sich die Bezeichnung Pasquill für verletzende Spottschriften.

Auch die Alten blieben gern anonym. Die Pasquillanten blieben anonym oder wählten einen Decknamen, wie die meisten Internetnutzer heute. In der Antike, die als Musterbeispiel guter Debattenkultur gilt, war das nicht anders. Im Schutz der Anonymität erschienen Schriften, die den ärgsten Prominentenbeschimpfungen im Internet in nichts nachstehen. Sie waren im Allgemeinen nur kunstvoller formuliert.

Kein Wunder – wer schreiben konnte, gehörte zur Oberschicht. Der „Pöbel“ äußerte sich allenfalls in Graffiti auf Häuserwänden, wie man in Pompei sieht. Das Wort „Pöbel“ für das „gemeine Volk“ ist heute verpönt, aber vom „Anpöbeln“ ist immer noch viel die Rede; neu ist etwa der „Pöbelbereite“ (© „Süddeutsche Zeitung“), ein Wort, das nicht zufällig in einem Text über die niveaulose Debattenkultur im Netz auftaucht. Die früher zum Schweigen verurteilte Masse kann sich heute im Internet Gehör verschaffen. Was sie zu Gehör bringt, schockiert.

Aber wie anders würde sich wohl die altrömische Gesellschaft der Nachwelt präsentieren, wenn sie nicht nur die schriftlichen Lebensäußerungen einer kleinen Elite hinterlassen hätte? Wohl viel schlimmer noch als unsere. Zumal sogar die Schriften dieser Elite von Deftigkeiten strotzen. „Prächtig vertragen sich die schamlosen Wüstlinge“, schreibt Catull, „Strichjunge Marmurra und Caesar [...]. Beide sind pervers, beide ein einziges Zwillingspärchen, einer wie der andere im Ehebruch unersättlich“...

Kaiser Augustus verbot zwar anonyme Schmähschriften, aber insgesamt lag die Schmerzgrenze für persönliche Beleidigung im Alten Rom im Vergleich zu heute himmelweit hoch. Liest man heute Invektiven von Sallust oder Cicero, wirken die Streitigkeiten zwischen österreichischen Politikern oder die Politikerkritik von „Intellektuellen“ wie Streichelmassagen.

Wenn man also die antike Debattenkultur als Vorbild bemühen kann, dann nur, was die Qualität der Argumente und die rhetorische Geschliffenheit angeht. Zwar unterscheidet Hesiod zwei Seiten der Göttin Eris, die für Streit und Zwietracht steht: eine negative (Neid, Feindschaft, Hass) und eine positive (den fruchtbaren Wettstreit); doch in der römischen Debattenkultur zeigt sie beide Gesichter.

Westliche Gesellschaften sind seit der Antike unvergleichlich „zimperlicher“ geworden, was persönliche Schmähungen betrifft. Große Humanisten, Kirchenmänner und berühmte Philosophen haben noch – zum Teil anonym oder unter Pseudonym – so deftig gegen andere polemisiert, wie es heute bei Autoren, Wissenschaftlern oder Politikern unvorstellbar wäre. Eher unüblich ist es heute, dass ein Wissenschaftler einem Kollegen unterstellt, er sei dümmer als ein Affe, wie es der Renaissance-Gelehrte Julius Caesar Scaliger mit einem Gegner getan hat.

Schmähen als Brotberuf. Der Firnis der Zivilisation hat sich seitdem nicht verdünnt, sondern verdickt – und die Aufklärung hatte daran ihren Anteil. Preußenkönig Friedrich der Große schrieb 1759 einen Text „Über die Schmähschriften“, der zeigt, wie verbreitet das Genre damals gewesen sein muss. Viele „Schriftsteller zweiten Ranges“, schreibt er, widmen sich dem „edlen Berufe, an den Schoßkindern Fortunas und den Machthabern Fehler zu entdecken [...] Mit diesen Beschimpfungen treiben sie Handel und verteilen sie nach dem Gutdünken ihrer Beschützer, die ihre Dienste anzuerkennen wissen.“ Über einen Mann wird gesagt, er könne „von jedem Stück seines Hausrats nachweisen, dass es auf Kosten des guten Rufes von dem und dem erworben“ sei. Friedrich der Große droht diesem Menschen aber nicht, er erinnert ihn an die „Tugend“.

In Wahrheit ist die Schmähung anderer im Westen seit Jahrhunderten und mit nur kurzen Ausnahmen auf dem Rückzug. Die Ächtung persönlicher Beleidigungen ist heute stärker denn je. Und nur deswegen schockieren die Schmähpostings im Netz so sehr: weil sie sich (noch) der gewohnten Kontrolle entziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2014)

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