Die ÖVP hievt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner auf den Schild. Eine zukunftweisende Entscheidung für Sebastian Kurz wagte sie nicht. Schade.
Für Reinhold Mitterlehner ging es schneller als er erwartet hatte. Schon länger hatte er auf den Job des Parteiobmanns gehofft, hatte immer versucht, seine Ambitionen nicht allzu deutlich zu zeigen. Der überraschende Abgang Michael Spindeleggers macht ihn buchstäblich über Nacht zum Parteichef und Vizekanzler. Die SPÖ ist erleichtert, einen berechenbaren Koalitionspartner zu bekommen. Die Landesparteichefs sind zufrieden, weil Mitterlehner nicht ernsthaft versuchen wird, ihre Macht in Frage zu stellen. Die Basis wird sich fügen, weil es der Vorstand so will. Die Wähler werden ihm anfangs mehr Vertrauen schenken als dem zuletzt schwer angeschlagenen Spindelegger.
Also alles gut in der ÖVP. Nein, denn die Probleme des neuen Vizekanzlers bleiben die alten: Wie seine beiden (!) Vorgänger wird er täglich gegen Faymanns politische Gummiwand laufen. Er wird lächelnd im Kreise geschickt, er darf die politischen Botschaften des Kanzlers aus der „Krone“ erfahren und er wird wie die bisherigen Juniorpartner Faymanns glauben, auch mit dem Kleinformat regieren zu können. Und er wird nichts machen dürfen, was unpopulär sein könnte. Und da man nie so genau weiß, was das alles sein kann, macht man in der Regierung am besten nichts. Von Steuererhöhungen einmal abgesehen. Genau das könnte der Sündenfall sein: Stimmt Mitterlehner Vermögenssteuern zu, wird er weitere Leistungsträger in die Arme der Neos treiben. Dort knallen schon die Prosecco-Korken.
Aber der Koalitionspartner ist nicht das größte Problem des neuen ÖVP-Obmanns. Das ist die eigene Partei. Keine andere Organisation wird so von Intrigen, Klüngeln und Blockaden einzelner Unterorganisationen mit dem treffenden Namen Bünde gelähmt. Keine andere überregionale Truppe hat derartig starke regionale Mächte. Wäre die ÖVP ein Unternehmen, dann wäre der Obmann der Vorstandsvorsitzende, der um Zuschüsse der Tochterunternehmen geradezu betteln muss. Jeder Wirtschaftsprüfer würde ungläubig den Kopf schütteln. In Wahrheit weist die ÖVP in die Zukunft des Föderalismus: Abschaffung der Zentralregierung und Schaffung eines losen Bundesländerverbands mit einer Touristensehenswürdigkeit im Osten.
Sebastian Kurz, den zwar alle Parteigranden lieben, aber am besten nur auf dem Schoß, hat das schon lange erkannt. Er hätte die Partei bei einer Übernahme völlig neu aufstellen können – personelle Konsequenzen ziehen, eine programmatische Neuaufstellung durchführen und ernsthaft bisherige Entscheidungsstrukturen in der Partei verändern. Jeder, der die mächtigen grauen Männer in der ÖVP kennt, wusste, dass Machtverlust für sie nicht vorgesehen ist. Und vor allem: dass Junge, die etwas verändern wollen, Warteschleifen ziehen müssen. Nur wegen dieser grauen Decke gibt es ÖVP-Aussteiger Matthias Strolz und die Neos.
Reinhold Mitterlehner steht im Gegensatz zu Kurz für Kontinuität. Er dürfte als Chef weder große Veränderungen im Regierungsteam – ein neuer Finanzminister, vermutlich einer von außen, wie Wirtschaftsprofessor Gottfried Haber könnte kommen – vornehmen. Noch Länder, Sozialpartner, Koalitionspartner infrage stellen. Mitterlehner ist derjenige, der das ÖVP-Profil „gestandener Politiker“ am besten erfüllt. Die Vertrauenswerte werden vermutlich wieder leicht steigen, große Reformen und Revolutionen werden wohl nicht kommen, dafür wird viel von Stabilität und Ruhe die Rede sein. Es ist die Fortführung des bisherigen Kurses mit neuem Kopf. Also genau das, was die ÖVP seit Jahren als Strategie anwendet: nicht um für den politischen Erfolg, sondern für den Machterhalt ihrer Männerbünde zu sorgen.
Einiges spricht dafür, dass Machtkampf und Obmanndebatte unterschwellig weitergehen könnten. Denn die Stimmen derer, die Kurz als besseren Kanzlerkandidaten als Mitterlehner sehen, werden nicht einfach verstummen. Jeder, der Mitterlehner kennt, weiß aber, dass er diesen Job selber machen will und wird.
Eine Eigenschaft hingegen könnte Mitterlehner und dem Land zugute kommen: Der Mann haut schon einmal auf den Tisch und wird laut, wenn er sich angriffen fühlt. (Was leicht passiert.) Vielleicht ist das ja der richtige Umgang mit SPÖ und der eigenen Partei.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2014)