Die Kritik an der EU-Wirtschaftspolitik durch Ex-Minister Montebourg hat nicht nur eine Regierungskrise ausgelöst, sondern auch eine Grundsatzdebatte bei den Sozialisten belebt.
Paris. Der Streit um die Sparpolitik bei Frankreichs Sozialisten geht in die nächste Runde: Auch die Zusammensetzung der neuen Regierung von Premierminister Manuel Valls wird an der grundsätzlichen Spaltung der Linken in der Frage der Haushaltspolitik und beim Schuldenabbau nichts ändern. Die vom nunmehrigen Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg provozierte politische Krise, die am Montag im Rücktritt der gesamten Regierung gipfelte, zwingt Staatspräsident François Hollande, sein Ministerkabinett auf ein Häufchen von Getreuen zu reduzieren. Diese müssen versprechen, dass sie nicht aufmucken oder an der offiziellen Linie herumnörgeln.
Nicht umsonst ist die Regierung das „ausführende“ Organ. Wenn Hollande also einen Nutzen aus der Kraftprobe mit dem allzu vorlauten Montebourg ziehen kann, dann ist es eine Stärkung seiner Autorität als Oberbefehlshaber dieser Exekutive. Das geht aber eindeutig auf Kosten des Zusammenhalts der sozialistischen Regierungspartei, deren Uneinigkeit in wesentlichen Punkten nicht mehr zu kaschieren ist.
Beifall für Montebourg
Spätestens zu Beginn der parlamentarischen Herbstsession dürfte sich herausstellen, dass die Loyalität seiner Minister für Hollande die geringste Sorge war. Das eigentliche Problem ist nun die Frage der Mehrheit, die es in der Nationalversammlung und im Senat braucht, um Gesetzesentwürfe, vor allem aber den sehr umstrittenen Haushaltsentwurf für 2015 zu verabschieden. Wird Hollande mit einer Fraktion von dissidenten Neinsagern bei den Sozialisten konfrontiert sein und Stimmen im bürgerlichen Lager suchen oder auf die Enthaltung der linken Oppositionellen zählen müssen? Paradoxerweise bekommt Montebourg – der wahrscheinlich die unmittelbare Tragweite seines Rundumschlags gegen die EU, die EZB und die deutsche Hegemonie in der europäischen Wirtschaftspolitik unterschätzt hat – in den Medien unerwartet viel Applaus. Nicht für die Form seines Vorgehens, sondern für den Inhalt. Ein großer Teil der europäischen Linken, aber auch der Internationale Währungsfonds sowie eine Reihe von Nobelpreisträgern haben schließlich schon vor einiger Zeit dieselben Vorbehalte gegen die negativen Folgen der allzu drastischen Sparpolitik wie Montebourg geäußert.
Laut „Libération“ hat selbst EZB-Chef Mario Draghi dem Ex-Minister mit seiner Forderung nach einer Lockerung der Haushaltsrestriktionen und einer Politik der Wachstumsstimulierung indirekt recht gegeben. Die Europapolitik könne nicht auf den einzigen Nenner der „Austerität“ gebracht werden. Wurde Montebourg letztlich eliminiert, weil er eine unbequeme Wahrheit sagte?
Le Pen wittert Chance
Das ist zumindest die Ansicht der Rechtspopulistin Marin Le Pen. Sie meint, der Sozialist habe nur bestätigt, was sie schon lange sage, und ebne damit ihrer Partei, dem Front National, den Weg zur Macht. Der Streit über Europa gehört aber auch längst zum Erbgut der französischen Sozialisten. Diese haben sich schon 1992 in der Debatte über den Maastricht-Vertrag entzweit und 2005 erneut in der Ablehnung des EU-Verfassungsentwurfs, den der damalige Parteichef Hollande gegen den Willen vieler seiner Genossen (unter ihnen Prominente wie Außenminister Laurent Fabius) ohne Enthusiasmus unterstützte. Die strategischen Meinungsverschiedenheiten wurden seither nie beseitigt, sondern bloß verdrängt.
Das erschwert es Hollande, heute in Berlin als glaubwürdiger Partner seinen Einfluss geltend zu machen. Man muss sich in Deutschland, wo im Gegensatz zu Frankreich die Politik des starken Euro Beifall findet, nämlich fragen, wen der französische Sozialist letztlich repräsentiert. Die Linie einer seriösen Haushaltsdisziplin, mit der die gemachten Verpflichtungen respektiert werden, oder ein Laisser-aller bei den öffentlichen Ausgaben im Namen einer hypothetischen Wachstumsförderung oder einer patriotisch verklärten Rettung der heimischen Industriebetriebe à la Montebourg? Die EU-Partner erhoffen sich in diesem Punkt von Hollande eine Klärung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2014)