Werner Faymann und die verschwundenen Zwerge

Warum macht Josef Ostermayer die Kanzler-Hackn nicht gleich selbst und stellt statt Zwergen den Faymann im Garten auf?

Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass große politische Charaktere nur in krisenbehafteten Zeiten auftreten. Folglich müssten wir phänomenologisch betrachtet in den rosigsten aller denkbaren Zeiten leben.

An dieser Stelle sollte ich mich gleich bei Robert Menasse entschuldigen, den ich vor Jahren heftig kritisiert habe, als er feststellte, unsere Politiker seien schlichtweg dumm. Es war zu Schüssels Zeiten – und was Schüssel betrifft, bleibe ich dabei: Der war nicht dumm, sondern vor allem kaum von politischen Skrupeln geplagt. Wir zahlen dafür: siehe Abfangjäger und Hypo-Alpe-Adria-Pleite. Schüssel hat es eingebrockt – aber, und das ist das große Aber: zu dumm, die Sache elegant auszulöffeln, ist unsere jetzige Politikerriege.

Bevor nun durch den Rücktritt Michael Spindeleggers vergessen wird, dass es SP-Häuptling Werner Faymann soeben gelungen ist, vom Zehn-Millimeter-Turm einen fulminanten politischen Bauchfleck hinzulegen, sollte man sich nochmals die Vorgänge der vergangenen Tage in Erinnerung rufen. Denn zu Faymanns unverdientem Glück hat die ÖVP wieder einmal ihre Kernkompetenz bewiesen und einer desaströs dahintaumelnden SPÖ mittels eigener Slapstick-Einlagen die Schau gestohlen.

Faymann würde absaufen

Man nehme das Folgende nicht als Personenkritik, sondern lese die Symptombeschreibung als Kritik an einem System, das solche Archetypen an die Schalthebel der Macht befördert. Begonnen hat es vorige Woche, als der ökonomisch bekannt firme Kanzler sich darin gefiel, Hannes Androsch abzukanzeln, weil dieser bezweifelt hatte, dass die Millionärssteuer eine spürbare Steuersenkung finanzieren könne.

Faymann schritt nach der Ankündigung in „Österreich“, man werde „einen sehr starken, sehr engagierten Kanzler erleben“, zur Tat und hat sich nicht entblödet, Androsch die Legitimation mit den Worten zu entziehen, „der würde auf einem Parteitag keine zwanzig Stimmen bekommen“.

Im Herbst 2012 habe ich anlässlich der Streichorgie bei Faymann (ca. 17 Prozent, de facto 30 Prozent, viele Delegierte stimmten gar nicht ab) geschrieben: „Würden am Parteitag nicht überwiegend loyale Funktionäre ab der mittleren Ebene hocken, sondern einfache, sich an der ,Basis‘ abstrudelnde Mitarbeiter, dann wäre Faymann kaum über 20 Prozent gekommen.“ Gäbe es eine Abstimmung unter allen SP-Mitgliedern über den Kanzler, Faymann würde gegen Androsch absaufen.

Wer es nicht glauben will, höre sich einmal bei normalen Mitgliedern um, die nicht zur Faymann-Nomenklatura gehören. Seinen Mangel an politischer Intelligenz hat Faymann damit erneut eindrücklich bewiesen, allein in Wien hat das zehntausende Stimmen gekostet. Die dortigen Basiswappler, die 2015 Wahlkampf führen dürfen, werden es ihm danken (nachdem man schon seit Jahren heftig am Wohnbau-Nachlass Faymanns zu würgen hat).

Hier hat sich ein Politzwerg, der durch Wahlniederlagen und totales Fehlen einer politischen Idee glänzt, an einem Sozialdemokraten vergriffen, der einer der wichtigen und bei großen Teilen der Basis bis heute hoch angesehenen Akteure der erfolgreichsten Ära der SPÖ seit 1945 ist – wie immer man zu Androsch stehen mag.

Offenbar in sublim-subversiver Anspielung auf die politische Größenordnung des Kanzlers hat die Vorarlberger SP in Folge 2000 Polit-, äh, Gartenzwerge in den Kampf geworfen. Die Gerüchte, die nunmehr verschwundenen 400 Zwerge seien von der ÖVP gestohlen worden, sind völlig absurd.

Gartenzwerge auf der Flucht

Da die Gartenzwerge laut dem Vorarlberger SP-Chef „die ersten Sozialdemokraten“ waren, muss man annehmen, dass sie schlicht die Flucht vor dem inhaltlich etwas indifferenten Bundesparteichef ergriffen haben, weil sie mit einer von ihm geführten Sozialdemokratie nichts mehr am Zwergen-Zipfelhauberl haben. Variante zwei: Faymann hat seine wandelnde „seidene Schnur“, Kulturminister Josef Ostermayer, wie immer die Arbeit machen lassen, ihn heimlich ins Ländle geschickt, um die Zwerge zu entführen und damit Größenvergleiche schon im Ansatz zu unterbinden.

Allerdings war die Zeit knapp, denn Ostermayer musste diese Woche Schlimmeres verhindern: den Einzug einer diskursfreudigen Kritikerin, Etikett „Rebellin“ (was mehr über den Rest vom Haufen als über Frau Ablinger aussagt). Also reiste Faymanns Spezialist für elferverdächtige Fouls im Politstrafraum nach Linz, als Wink Gottes sozusagen. Dabei hätte die oberösterreichische Machopartie (deren Vorsitzender denselben Friseur wie Kim Jong-un zu beschäftigen scheint) auch so gewusst, was zu tun ist.

Regierung sucht die Mandatare

Die SPÖ war einmal eine Bürgerrechtspartei, jetzt reist ein Regierungsmitglied (Ostermayer ist nicht im Parteivorstand!) an, um eine Volksvertreterin zu verhindern. Die Regierung sucht sich ihre Abgeordneten aus. Unverhohlen und offen. Aber wenn der Bundeskanzler sich sogar die Parlamentspräsidentin aussucht. . .

Die Berufung auf Wahlgesetze ist eine Verhöhnung. Eine Parteispitze, die jetzt für fünf Minuten das freie Mandat entdeckt, ist nicht glaubwürdig. Die Leute sind nicht so dumm, wie manche meinen, und dabei womöglich an sich selbst Maß nehmen. Als ob Gesetze je verhindert hätten, dass Mandate nach Lust und Laune vergeben werden (wer sich wehrte, endete als „wilder“ Abgeordneter).

Das freie Mandat kollidiert nur scheinbar mit dem Parteistatut. Als Parteimitglied hat man eine freiwillige Selbstbeschränkung im Sinne der Frauenquote akzeptiert. Jetzt mit Wahlgesetzen zu argumentieren, ist „Schmierentheater“. Als ob unter Faymann die Gewaltentrennung je eine praktische Bedeutung gehabt hätte – dass sein intellektueller Weitblick ausreicht, über solche Grundsatzfragen nachzudenken, ist unbewiesen. Aber kluge Politiker lassen wenigstens das Denken zu. Faymann jedoch ist – so zuletzt die „Presse am Sonntag“ – bloß schlau. Wirklich? Wie schlau ist es, gleich zwei Wählergruppen – Androsch-Aficionados und Frauen – in einer Woche zu vergraulen?

Kritik ist unerwünscht

Im System Faymann ist Kritik unerwünscht, kritische Geister werden ausgegrenzt und mundtot gemacht. Es fehlt völlig an der Fähigkeit und der Lust, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Viele Sozialdemokraten fragen sich längst, ob man das Wort „Demokratie“ im Parteinamen nicht streichen sollte.

Und was „sozial“ betrifft: Angesichts einer Steuerreform, bei der 2,8 Millionen Lohnabhängige am unteren Ende der Einkommenspyramide keinen Cent zusätzlich haben werden, stellt sich die Frage nach Sozialverständnis und wirtschaftlichem Sachverstand der SP-Führung. So bleiben schlussendlich nur wenige Fragen: Warum macht der Ostermayer die Kanzler-Hackn nicht gleich selbst und stellt statt der Zwerge den Faymann im Vorgarten auf? Den würde schon keiner stehlen. So dumm ist nicht einmal die ÖVP.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Michael Amon
(* 1954 in Wien) ist Dramatiker und Essayist. Er lebt als freier Autor in Gmunden und Wien. Der Bruno-Kreisky-Preisträger hat heuer zwei neue Bücher veröffentlicht: „Panikroman“, das Psychogramm eines Börsenhändlers. Anfang August erschien sein Kriminalroman „Nachruf verpflichtet“, der dritte Band der „Wiener Bibliothek der Vergeblichkeiten“. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2014)

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