BVT-Chef Gridling: „Gefährdung ist groß"

PK 'VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2013': GRIDLING / KOGLER
PK 'VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2013': GRIDLING / KOGLERAPA/HERBERT NEUBAUER
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Peter Gridling ist Direktor des Verfassungsschutzes. Im Interview skizziert er das Risiko, das von rückkehrenden Jihadisten ausgeht, lobt die Zusammenarbeit mit den Muslimen und warnt: „Es gibt einen Teil, der im Verborgenen bleibt".

Die Presse: Im Vorjahr kannten Sie ein Dutzend, vor zwei Wochen waren es 130: Wie viele Personen werden 2015 von Österreich aus in den Jihad gezogen sein?

Peter Gridling: Eine Zahl zu nennen wäre Kaffeesudleserei. Sie ändert sich zu schnell. Derzeit halten wir bei 142. Wir kommunizieren das, weil wir glauben, dass es für die Öffentlichkeit wichtig ist zu verstehen, was für ein ernstes Problem sich durch das Phänomen auftut.

Mit der Zahl der Kämpfer steigt also das Risiko für die öffentliche Sicherheit?
Das Phänomen der „Foreign Fighters" ist nicht neu. Seit 2004 ziehen Menschen aus dem Westen nach Afghanistan oder Pakistan in den „Heiligen Krieg". Seit 2012 wirken Syrien und der Irak wie ein Magnet auf diese Leute. Dort dürfte sich, unterstützt durch die leichte Erreichbarkeit, ein Umfeld entwickelt haben, das offensichtlich mehr als nur sexy für Jihadisten ist.

Jemand, der im Krieg getötet hat und nach Österreich zurückkehrt, setzt leichter Taten als jemand, der nur redet. Wie bewerten Sie das Risiko, dass hierzulande ein Jihadist zur Waffe greift?
In London und Madrid gab es bereits Anschläge. In Deutschland entdeckte man Kofferbomben. Die Gefährdung offener Gesellschaften und ihrer Massentransportmittel ist groß. Natürlich erwägen wir als Staatsschutz solche Gefahren, thematisieren das aber öffentlich zurückhaltend. Wir würden nur Angst erzeugen. Das wollen wir nicht. Immerhin sind unsere westlichen Gesellschaften auch deshalb so erfolgreich, weil sie eben offen sind.

Kooperieren islamische Vereine ausreichend mit den Behörden?
Die öffentliche Debatte über den Terror in Syrien und im Irak hilft. Wir sehen eine erhöhte Bereitschaft, sich von der extremen Auslegung des Islam zu distanzieren, mit Behörden zu kooperieren und uns Beobachtungen mitzuteilen. Wir dürfen uns aber nicht in falsche Sicherheit wiegen. Auch Vereine erreichen Österreichs Muslime nicht in ihrer Gesamtheit. Es gibt einen Teil, der im Verborgenen bleibt.

Vermutlich wird sich niemand spontan dazu entscheiden, in den Jihad zu ziehen. Wie funktioniert die Rekrutierung?
Anwerber prüfen ihr Umfeld auf Personen, die sich für den Islam interessieren und in einer persönlichen Krise sind. Die Strategie ist dann, dem potenziellen Kandidaten Halt in der Lebenskrise zu vermitteln. Danach finden Gespräche in einem abgeschotteten Umfeld statt, in denen die Ideologie vertieft wird. In diesem Rahmen treten charismatische Personen auf, die von eigenen Jihad-Erfahrungen berichten. Irgendwann mündet der Prozess in der offenen Ansprache, in der Frage, ob jemand in den Krieg ziehen will. Nicht immer sind Dritte involviert. In Einzelfällen erfolgt eine Selbstradikalisierung. Das Material dazu findet sich im Internet, in den sozialen Netzwerken.

Der Islamische Staat brüstet sich, regen Zulauf aus Europa zu haben. Für Geheimdienste ist das doch geradezu eine Aufforderung zur Infiltration.
Natürlich haben die großen Dienste Interesse an Informationen aus dem Inneren des Apparats. Lassen Sie es mich so sagen: Es gibt Organisationen, die über den IS durchaus Wissen aufgebaut haben.

Teilen diese Dienste das Wissen auch, etwa mit Österreich?
Sofern die Quellen dadurch nicht gefährdet werden, ja.

Das Innenministerium wirbt für ein BVT-Gesetz, das Ihrer Behörde wohl auch mehr Befugnisse einräumen wird. Sehen Sie dazu in der Bevölkerung Zustimmung?
Das möchten wir in allen Teilen der Gesellschaft erfragen. Wir wollen wissen: Soll der Staatsschutz künftig schon tätig werden können, wenn von einer Person oder einer Gruppierung noch keine konkret beschreibbare Gefahr ausgeht? Im Parlament führen wir dazu bereits Gespräche.

Das klingt nach der Gründung eines neuen Nachrichtendienstes.
Nein. Die Innenministerin, der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit und ich wollen keinen Nachrichtendienst. Auch der Staatsschutz der Zukunft soll im Apparat der Polizei verbleiben. Die Polizei genießt Vertrauen in der Bevölkerung, das wollen wir nutzen. Vielleicht nach dem Muster von Staaten wie Norwegen, Schweden oder Finnland, wo die Staatsschützer ebenfalls bei den Sicherheitsbehörden angesiedelt sind - allerdings mit eigenen, gesetzlichen Bestimmungen.

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