Die verloren geglaubte Seite der Volkspartei

(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
  • Drucken

Die ÖVP will mit einem liberaleren Kurs urbane Wähler zurückgewinnen. Das zeigen die Personalauswahl und der Reformprozess. Aber wird dieser gelingen?

Im niederländischen Ort Wijchen herrscht Aufregung: Weil ein Beamter die falsche Farbe bestellt hatte, wurden Verkehrsinseln pink statt grau gestrichen. Nach dem ersten Schock entschloss sich die Stadtverwaltung aber, wegen der positiven Reaktionen die Farbe zu behalten.

Auch in Österreich gibt sich dieser Tage jemand einen pinken Anstrich und will das Grau hinter sich lassen: die ÖVP. Am Donnerstag startete sie den Reformprozess „Evolution Volkspartei“. Er ist auch eine Reaktion auf den neuen politischen Gegner im bürgerlichen Spektrum, die pinken Neos. Aber bereits die am Montag erfolgte Regierungsumbildung zeigt, dass die ÖVP um verloren gegangene bürgerlich-liberale Wähler buhlen will. Das beste Beispiel dafür ist Harald Mahrer, urban-liberaler Vordenker des schwarzen Wirtschaftsbundes.

Als er sich im Vorjahr um ein Nationalratsmandat bewarb, verräumte ihn die ÖVP auf die hinteren Listenplätze. Nun darf Mahrer gleich Staatssekretär von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner werden. Ein Hans Jörg Schelling als Finanzminister ist ebenfalls ein Symbol in Richtung Neos-Wähler. Und dann gibt es in der ÖVP noch Familienministerin Sophie Karmasin, die bereits nach der Wahl als Zeichen für urbane Wähler in dieses Amt gesetzt wurde.


Macht die ÖVP nun also ganz auf Neos? Nein, das wäre auch die falsche Taktik. Nicht nur, weil eine Kopie nie besser als das Original ist. Auch, weil die ÖVP in einer anderen Liga spielt: Bei der Nationalratswahl errang die alte Partei noch immer fünfmal so viele Stimmen wie die bürgerlichen Newcomer. Es gilt für die Schwarzen, eine breitere Wählerschicht zufriedenzustellen. Auch traditionelle Anhänger vom Land dürfen nicht verschreckt werden. Doch wenn selbst der aus Tirol stammende Landwirtschaftsminister, Andrä Rupprechter, eingesteht, dass seine Töchter die ÖVP für „verzopft“ und „stockkonservativ“ halten, spricht das Bände.

Ebenso, wenn niemand mehr die von Altparteichef Spindelegger geprägte Parole von der „Entfesselung der Wirtschaft“ durch die ÖVP glauben will. Auch Umfragen ließen die Alarmglocken schrillen. Nach dem Obmannwechsel hat die ÖVP zwar wieder Tritt gefasst und hält bei 24Prozent: Das ist aber auch nur auf dem Niveau des Wahlergebnisses 2013 – ein historischer Tiefstand. Man muss auf der Hut sein, damit man nicht bei der Wiener Wahl 2015 einstellig wird. Das kann sich eine staatstragende Partei nicht leisten.

Wie schafft man nun den Spagat zwischen Veränderung und Tradition? Mitterlehner skizzierte es am Donnerstag: Die Partei müsse Lebensentwürfe abseits der klassischen Familie ja nicht im selben Ausmaß fördern – aber man müsse sie respektieren und die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Klingt schon etwas anders als die Worte von Vorgänger Spindelegger. Der noch bezweifelte, ob es gut sei, wenn sich auf dem Standesamt hetero- und homosexuelle Paare über den Weg laufen. Auch in der Schulpolitik will Mitterlehner keine Tabus mehr. Und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Stichwort: mehr Kinderbetreuungseinrichtungen, weniger Geldleistungen) kamen aus der ÖVP schon zuletzt vermehrt Signale für einen Kurswechsel. Ein zentraler Aspekt wird aber bleiben, ob es der ÖVP wieder gelingt, sich als Wirtschafts- und Reformpartei zu positionieren. Also genau in dem Bereich, in dem die Neos Stimmen wegknabbern.


Doch ob der Weg zu einer neuen ÖVP gelingt, ist unsicher: Denn die ÖVP ist immer noch die ÖVP. Bünde, die sich gegenseitig blockieren. CV-Seilschaften, die auch unter Cartellbruder Mitterlehner stark bleiben und nicht alle für einen liberaleren Kurs zu haben sind. Die mächtige schwarze Lehrergewerkschaft, die Bildungsreformen gern blockiert. Und nicht zuletzt die ÖVP-Landeshauptleute, die immer ihr eigenes Spiel spielen. Auf dem Rücken des Parteichefs. Die Reform der ÖVP muss also nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine organisatorische sein.

Von all diesen Unsicherheitsfaktoren wird es abhängen, ob der Weg in eine modernere ÖVP gelingt. Oder ob sie – mit ein paar pinken Einsprengseln versehen – auf dem Weg stehen bleibt: wie eine niederländische Verkehrsinsel.

E-Mails an:philipp.aichinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der  neue Staatssekretär im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium, Harald Mahrer
Politik

Mahrer: "Die Welt ist nicht mehr in Lager einteilbar"

Potenzielle Wähler der ÖVP seien "überall", findet der neue Staatssekretär im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium. 2018 wolle man wieder Nummer eins werden.
OeVP-DISKUSSION 'EVOLUTION VOLKSPARTEI': MITTERLEHNER
Politik

Umfrage: Mitterlehner bringt ÖVP Aufschwung

SPÖ, ÖVP und FPÖ liegen derzeit in der Wählergunst nahe beieinander. Mitterlehner schneidet bei der Kanzlerfrage besser ab als Spindelegger.
Politik

ÖVP: Neue Köpfe, neue Positionen?

Am Donnerstag startete die Volkspartei den Erneuerungsprozess ihres Parteiprogramms. Neo-Obmann Reinhold Mitterlehner nutzte die Chance, um sich zu inszenieren – und wünscht sich eine „Amtszeitgarantie“.
Christian Ortner

Reinhold Mitterlehner, eine sehr österreichische Karriere

Der typische hiesige Spitzenpolitiker lebt sein ganzes Leben lang von Geld, das anderen eher unfreiwillig abgeknöpft wird. Ist das befriedigend?

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.