Tschetschenen aus Österreich als Kämpfer in der Ostukraine

A car moves towards the direction of a pro-Russian separatist at a checkpoint outside the village of Kreminets near the city of Donetsk
A car moves towards the direction of a pro-Russian separatist at a checkpoint outside the village of Kreminets near the city of Donetsk(c) REUTERS
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Aus Rache an Putin kämpfen nach Europa geflüchtete Tschetschenen in der Ostukraine. Nach „Presse“-Informationen auch solche aus Österreich.

Wien. Der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, ein Vertreter der prorussischen Separatisten sowie die OSZE haben am Freitagnachmittag eine Einigung auf eine Waffenruhe in der umkämpften Ostukraine bestätigt. Der Friedensplan sieht eine unbefristete Feuerpause ab 17 Uhr MESZ vor.

Das bedeutet auch eine Kampfpause für jene Tschetschenen, die Recherchen der „Presse“ zufolge auf der Seite ukrainischer Truppen in den Krieg gezogen sind. Darunter auch Tschetschenen mit Asylstatus oder österreichischer Staatsbürgerschaft. „Vor eineinhalb Monaten haben mich Landsleute aufgesucht und mir von ihrer Absicht berichtet. Ein Teil von ihnen ist bereits in die Ukraine gefahren“, sagt Magomet Schamajew im „Presse“-Gespräch: „Vor drei Wochen dann abermals.“ Eine genaue Zahl konnte er nicht nennen. Schamajew ist nicht irgendjemand. Als ehemaliger Chef der nationalen Sonderkampfeinheit in Tschetschenien gilt er als Autorität bei einem bestimmten Teil der tschetschenischen Community und war dadurch auch für Österreichs Innenministerium jahrelang ein wichtiger Kontaktmann, wenn es Konfliktsituationen in der Szene zu regeln galt.

Die Behörden wissen von einem Kämpferexport aus Österreich in die Ukraine derzeit allerdings nichts. Zwar beobachte man das Faktum, dass tschetschenische Foreign Fighters aus anderen Ländern Europas in die Ukraine ziehen, erklärt Innenministeriumssprecher Alexander Marakovits auf Anfrage: „Aus der tschetschenischen Gruppe in Österreich aber sind uns derartige Fälle bisher nicht bekannt.“ Über die Möglichkeit, dass sich hier einiges im toten Winkel der Aufmerksamkeit abspielt, will Marakovits nicht spekulieren. Peter Gridling, Direktor des Verfassungsschutzes, freilich hat am Donnerstag im Interview mit der „Presse“ zur allgemeinen Information über kriegsbereite Flüchtlinge gemeint, wir dürfen uns „nicht in falscher Sicherheit wiegen“. Denn: „Es gibt einen Teil, der im Verborgenen bleibt.“

Was einen Kämpferstrom in die Ukraine betrifft, so bestätigt Hans-Georg Heinrich, Ex-Professor für Politologie der Universität Wien, und über seinen Osteuropa-Thinktank Iceur Vienna bestens in der tschetschenischen Community vernetzt, dass dort großes Interesse bestehe, als Foreign Fighter am Kampf gegen Russland teilzunehmen, und einige bereits in die Ukraine aufgebrochen seien.

„Männer mit viel Kriegserfahrung“

Auch laut Chusein Iskhanow, gewähltem Abgeordneten im Vorkriegs-Tschetschenien 1997 und heute Vertreter der „Demokratischen Vereinigung der Tschetschenen in Österreich“, kursiere verstärkt die Information, dass „die Leute das in Betracht ziehen. Diese Woche haben mich etwa unsere Landsleute aus Tirol angerufen und ihr Interesse bekundet. Das Schicksal der Ukraine ist Hauptthema in der Community. Auch ich sage der Jugend, wenn sie schon irgendwo kämpfen wolle, dann nicht in Syrien, was uns nichts angeht, sondern in der Ukraine.“

Die Stimmung in der Szene ist offenbar aufgeheizt. Allen Informanten zufolge zieht es nicht in erster Linie religiöse Fanatiker in die Ukraine, sondern gerade jene Erwachsenen, die einst gegen die Russen und das moskautreue Kadyrow-Regime in Tschetschenien gekämpft haben und vor ihnen in den Westen geflüchtet sind. Ex-Sondereinheitschef Schamajew erklärt: „In der ersten Gruppe, die mich vor ihrer Abreise aufgesucht hat, waren vor allem Leute, die ich zuvor nicht kannte. Die zweite vor drei Wochen bestand aus Männern, die viel Kriegserfahrung haben.“ Ihre Motive sind einfach: Neben der Verteidigung der Ukraine sind es die Rache an Putin und die Blutrache an den Kadyrow-Leuten. Unter den russischen Kämpfern, die aufseiten der ukrainischen Separatisten kämpfen, befinden sich nämlich bekanntlich auch Kadyrow-Leute. So gesehen sind die Kämpfe in der Ostukraine zum Teil auch eine innertschetschenische Abrechnung, deren Ausgang im Internet eifrig diskutiert wird.

Machen Tschetschenen aus Österreich bislang nur einen winzigen Teil unter den Foreign Fighters auf ukrainischer Seite aus, so sind Flüchtlinge aus anderen europäischen Staaten aktiver. Vor allem aus Dänemark, wo der ehemalige tschetschenische Brigadegeneral Isa Munajew ein sogenanntes Internationales friedensstiftendes Bataillon zusammengestellt hat, dem sich schon Anfang Juni über 300 Tschetschenen angeschlossen haben. Eine Reihe von ehemaligen Feldkommandanten hat ihre Teilnahme zugesagt. Inzwischen sind sie vor Ort. Vor wenigen Wochen ist Munajew selbst in die Ukraine gereist – Informationen der „Presse“ zufolge über Österreich, wo sich ihm offenbar einige Tschetschenen angeschlossen haben. Das sei wohl der Anfang, meint Diaspora-Vertreter Iskhanow: So große Namen wie Munajew würden Freiwillige aus Europa anziehen.

Halb zieht es tschetschenische Kämpfer aus dem Westen in die Ukraine, halb werden sie von der Ukraine auch gebraucht, da es der dortigen Armee und den Freiwilligenverbänden an Ausbildnern mit Kriegserfahrung mangelt. Inceur-Chef Heinrich weiß zu berichten, dass über gewisse ukrainische Kanäle auch unter Österreichs Tschetschenen Kriegserfahrene angeheuert werden. Diaspora-Vertreter Iskhanow sagt, dass die ersten ernsthaften Kontakte zwischen Ukrainern und Tschetschenen in Österreich zustande gekommen sind, als Putin auf Staatsbesuch in Österreich war. Den ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August feierten sie auf dem Stephansplatz bereits gemeinsam. Die Freundschaft ist nicht neu: Im Tschetschenien-Krieg halfen ukrainische Kämpfer in Tschetschenien aus.

Ukraine sucht Spezialisten

Dass die Ukraine Spezialisten sucht, ist Geheimdiensten längst klar. In einem Papier deutscher Nachrichtendienste, das der „Presse“ vorliegt, heißt es, dass etwa das von einem ukrainischen Oligarchen finanzierte proukrainische Asow-Bataillon laut Quellen vor Ort von „Ausbildnern aus Schweden, Frankreich, Deutschland und auch Russland trainiert“ wird. Ob und dass tschetschenische Foreign Fighters aus Europa teils vom ukrainischen Geheimdienst an der Grenze abgeholt und bewaffnet werden, wie dies der „Presse“ zu Ohren gekommen ist, konnte nicht verifiziert werden. Ex-Nationalgardistenchef Schamajew geht davon aus, dass die meisten Kampfbereiten aus dem Westen illegal über die Grenze in die Ukraine gelangen und sich dort Kampfeinheiten anschließen.

AUF EINEN BLICK

Seit Freitag 17 Uhr gilt eine Waffenruhe in der Ostukraine, die beim Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Minsk zwischen Unterhändlern der ukrainischen Regierung und Separatisten vereinbart wurde.

Obwohl beide Konfliktparteien der Feuerpause zugestimmt haben, gehen Experten davon aus, dass die Umsetzung wegen der unklaren Struktur der Kriegsparteien schwierig werden könnte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

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