Verhaltensforschung: Wie Menschen und Tiere einander verstehen

Jagdkumpane - Wie der Hund auf den Menschen kam
Jagdkumpane - Wie der Hund auf den Menschen kam(c) ORF
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Stadtmenschen brauchen Topfpflanzen und Haustiere, sagt der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal. Die Kommunikation funktioniert deshalb, weil Menschen und Tiere evolutionsbiologisch sehr viel verbindet.

Geliebt, gepflegt und aufgegessen. Tiere sind heute Sozialpartner und Nahrungsmittel, Sportgerät und Forschungsobjekt. „Tiere prägen das Leben der Menschen seit Jahrtausenden auf unterschiedliche Weise. Die Wissenschaft zieht erst jetzt richtig nach“, sagt Kurt Kotrschal vom Department für Verhaltensbiologie der Uni Wien. Er befasst sich schon seit mehreren Jahren vor allem mit dem Verhältnis von Menschen mit Wölfen oder Hunden.

Als Biologe nähert sich Kotrschal von einer anthrozoologischen Perspektive, also ausgehend von einem naturwissenschaftlich geprägten Hintergrund. Ergänzend studieren Geisteswissenschaftler in den sogenannten Human Animal Studies die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Beide Perspektiven boomen jedenfalls und finden insbesondere in den stark wachsenden städtischen Lebensräumen ein interessiertes Publikum.

Tatsächlich stehen Tierhaltung und Urbanisierung in einem direkten Zusammenhang: „Je urbaner eine Gesellschaft ist, desto mehr Tiere werden gehalten“, so Kotrschal. Mitunter würde man in Städten sogar mehr Tiere sehen als in der freien Natur. Dass der Mensch sich gern mit Tieren und Natur umgibt, sei aber ein Spezifikum seiner Art, in der Fachsprache als Biophilie bezeichnet. „Stadtmenschen brauchen Topfpflanzen und Haustiere“, heißt es in Kotrschals neuem Buch, das eben erschienen ist. In „Einfach beste Freunde“ schildert er, „warum Menschen und andere Tiere einander verstehen“.

Partner auf Augenhöhe

Andere Tiere? Für den Biologen stehen die Gemeinsamkeiten zwischen den Arten klar im Vordergrund. Auch wenn sich der Mensch durch Sprache, Reflexionsfähigkeit oder Spiritualität abhebt: „Mensch und Tier verbindet vieles, Tiere sind unsere evolutionären Geschwister“, sagt Kotrschal. Die Idee der Überlegenheit des Menschen sei überholt, ein Tier Partner auf Augenhöhe. Darin sieht er auch die Grundlage für eine erfolgreiche Kommunikation zwischen Mensch und Tier.

Die „evolutionäre Werkzeugkiste“ habe sich über die Stammesgeschichte hinweg kaum verändert, so Kotrschal. Vergleichende Anatomie, Physiologie und Verhaltensbiologie zeigten viele relevante Gemeinsamkeiten, die zwischenartliches Sozialleben zumindest unterstützten.

So gleichen sich etwa bestimmte Strukturen des Hirnstamms und des Zwischenhirns und damit eng gekoppelt eine ganze Palette instinktiver Verhaltensweisen. Freut sich ein Hund über den Anblick oder den Geruch des Menschen, aktiviert das in seinem Gehirn den „Liebeskern“ – einen Bereich, der auch bei Menschen in angenehmen Situationen aktiv wird. „Menschen teilen mit anderen Wirbeltieren auch ein neuronales Netzwerk, das Sozial- und Sexualverhalten steuert.“

Trotz aller Gemeinsamkeiten: Dem Tier die eigene Perspektive „überzustülpen“ sei unangebracht und Quelle vieler Fehlinterpretationen. Als Verhaltensbiologe ist er gewohnt zu beschreiben, nicht zu interpretieren. „Ein Meerschweinchen am Schoß eines kleinen Mädchens mag entspannt wirken. Eventuell ist es aber mit nur wenig Menschenkontakt aufgewachsen und verharrt in einer Art Schreckstarre“, nennt Kotrschal ein Beispiel.

Der Umgang mit Tieren setzt also profundes Wissen voraus, damit „gut informierte Zuwendung“ möglich ist. Aber nicht nur die Vermenschlichung des Tieres, auch die Vertierlichung des Menschen sei seit jeher Teil der gemeinsamen Entwicklungsgeschichte. Tänzer in Tierkostümen spielten in vielen Gesellschaften eine zentrale Rolle. Und vor allem Männer schlüpften etwa gern in die Rolle des Werwolfs. „Vertierlichung gab es wahrscheinlich schon an der Wurzel der Menschwerdung“, so Kotrschal.

Kinder und Tiere

Menschen integrieren Tiere in ihr Leben und profitieren auf vielfache Weise von diesen Beziehungen. Vor allem für Kinder sei das Aufwachsen mit Tieren „eine der wichtigsten Zutaten für eine gute körperliche, emotionale, kognitive und soziale Entwicklung“, so Kotrschal. Außerdem wertet ein Tier nicht, es nimmt den Menschen, wie er ist. Daher zeichnen sich etwa Pferde und Hunde als Therapiepartner aus. Und Tiere helfen dem Menschen sogar gesund zu bleiben: Studien zeigen, dass sich etwa Puls und Herzfrequenz beruhigen. Auch Stress wird reduziert, wenn Tiere da sind.

Was rät der Wissenschaftler für den Umgang mit Tieren? Vor allem Respekt. Schon ein kurzes Innehalten könne helfen, nicht nur die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu rücken. Insgesamt sei der Umgang mit Tieren „ein verräterischer Spiegel der Gesellschaft“.

LEXIKON

Biophilie ist das Bedürfnis der Menschen, von Natur und Tieren umgeben zu sein. Die von Edward Wilson bereits 1984 aufgestellte Annahme gilt bis heute als Alleinstellungsmerkmal des Menschen.

Als Anthrozoologie bezeichnet man die naturwissenschaftlich geprägte Wissenschaft der Tier-Mensch-Beziehung. Disziplinen sind Anthropologie, Ethologie, Medizin, Psychologie, Veterinärmedizin, Zoologie und Biologie.

Human Animal Studies sind das geisteswissenschaftliche Pendant dazu. Geschichte und Altertumswissenschaften, Soziologie und Soziobiologie, aber auch Kunst und Literatur befassen sich mit den Beziehungen zwischen Menschen und Tieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)

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