IS-Barbarei und ihre Folgen

Islamophobie nimmt zu, die Loyalität der Muslime wird infrage gestellt. Nötig ist eine umfassende Befriedungspolitik.

Ich liebe Österreich. Die wunderschöne Natur, das historische Erbe und die österreichische Gemütlichkeit sind einmalig. Als Muslim fühle ich mich dank der kirchenrechtlichen Gleichstellung umso wohler. Es könnte alles so schön sein.

Blicken wir zurück, genauer gesagt in die frühen 1990er-Jahre. Der Aufstieg der FPÖ veranlasst mehr als 300.000 Menschen, durch die Straßen Wiens zu ziehen und der abscheulichen Hetze entgegenzutreten. Acht Jahre später öffnen die schrecklichen Terroranschläge vom 11. September eine neue Büchse der Pandora: das vergessene Phänomen der Islamophobie.

Innerhalb weniger Tage werden verschleierte Frauen und bärtige Männer mit Argusaugen beobachtet. Es muss etwas geschehen: Islamische Organisationen verurteilen jeglichen terroristischen Akt, organisieren Dialog-Konferenzen und Muslimas und Muslime zieht es in die Politik. Das Krebsgeschwür der Islamophobie wird dadurch nur wenig kleiner. In der öffentlichen Debatte wird weiter eine gefährliche These diskutiert: Der Islam an sich sei böse, praktizierende Gläubige eine potenzielle Gefahr. Ein Hinterfragen der sozialen Umstände bleibt aus. Das bringt uns zum massiven Rekrutierungserfolg des barbarischen IS (Islamischer Staat). Denn der europäische Teil der IS-Teroristen – der ungefähr zehn Prozent ausmacht – stammt nicht aus Mittelklasse- oder Akademikerfamilien. Faktum ist, dass die Mehrheit dieser Kinder-Jihadisten aus sozialen Unterschichten stammt, den Glauben nicht praktiziert und das Buch „Islam für Dummies“ auf ihrer Kriegsreise erstmals aufschlägt.

Jeder Mensch mit Verstand sollte sich von diesem barbarischen Albtraum distanzieren. Ja, Teile des Korans werden missverstanden. Ja, es gibt Menschen, die sich nach dem Mittelalter sehnen. Aber lassen wir Kirche und Moschee im Dorf. Unbestritten ist, dass sich Muslime genauso wie ihre nicht muslimischen Nachbarn weiterbilden, eine Arbeit suchen, eine Familie gründen und ja – ganz im Ernst – Spaß haben.

Ich behaupte gar, dass mehr Muslime gefoltert und getötet werden als Menschen anderer Religionen. Sei es durch die arabischen Despoten oder die Verfolgung von Millionen in China, Russland, Myanmar, Vietnam, Angola, Bangladesch und der Zentralafrikanischen Republik. Die überwältigende Mehrheit der IS-Todesopfer sind Muslime.

Während der IS Tausende foltert und tötet, legt sein Hass den Grundstein für das besagte Krebsgeschwür. Journalisten treten für eine staatliche Kontrolle des islamischen Religionsunterrichts und der Moscheen ein. Die Loyalität aller muslimischen Bürger ist infrage gestellt. Eine umfassende Befriedungspolitik von allen Seiten sowie eine ausgewogene Medienberichterstattung sind wichtiger als je zuvor. Wenn Emotionen statt des Verstands das Bild prägen, gibt es kein Aufwachen aus diesem Albtraum. Und dieser Albtraum kann der Anfang von etwas viel Schlimmeren sein.

Karim Saad ist Digital Manager und freier Journalist. Er bloggt unter Menabuzz.de zu politischen Themen im Nahen Osten.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2014)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.