Von Polaroid bis iPhone: Die Lust am Nacktfoto

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Warum machen Menschen erotische Bilder von sich? Und warum heben sie sich die Fotos auf?

Annie und Jay sind zehn Jahre zusammen und haben zwei Kinder. Ihr Sexleben ist deshalb ein wenig eingeschlafen. Und so beschließen sie, sich mit einem privaten Porno wieder etwas von der Leidenschaft früherer Tage zurückzuholen. Dumm nur, dass Jay danach vergisst, den Film zu löschen – und er ihn stattdessen auf sämtliche iPads synchronisiert, die er je besessen und dann verschenkt hat. Was danach folgt, ist eine durchschnittliche Komödie mit Cameron Diaz und Jason Segel in den Hauptrollen, die am 12. September in die Kinos kommt. Dass „Sex Tape“ genau jetzt erscheint, dürfte für die Produzenten ein unerwarteter Glücksfall sein. Denn nachdem kürzlich Hacker intime Fotos von Dutzenden Hollywood-Stars entwendet und ins Netz gestellt haben, hat das Thema derzeit eine gewaltige Aktualität.

Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence hat es erwischt, Sängerin Rihanna, Schauspielerin Hayden Panettiere und auch die US-Fußballspielerin Hope Solo. Ihre und weitere Apple-Konten wurden offenbar gehackt und die darin entdeckten intimen Bilder ins Netz gestellt. Noch wird diskutiert, ob der Fehler beim Onlinespeicherdienst iCloud liegt oder ob die Stars selbst zu leichtfertig mit ihren Accounts umgegangen sind. Und noch ist nicht einmal klar, ob all die Fotos, von denen die Rede ist, überhaupt echt sind. Doch über all dem stellen sich viele die Frage: Warum machen Menschen überhaupt derartige Fotos von sich? Und warum hebt man sich die Bilder in einem elektronischen Speicher auf?

Nun, allzu neu ist das Phänomen wohl nicht. „Zu Zeiten von Polaroid haben die Leute das mit Polaroidkameras gemacht“, sagt Sexualpädagoge Stefan Hloch, der für die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung Beratungen an Schulen durchführt. Bei Jugendlichen stecke vor allem Intimität in Beziehungen oder überhaupt Beziehungsanbahnung dahinter, wenn solche Fotos geschossen – und womöglich weitergegeben werden. Manchmal ist es auch einfach Langeweile oder die Lust am Ausprobieren. Bei Erwachsenen gebe es dieses Phänomen genauso, nur werde es nicht so skandalisiert. Im Grunde ist es ein normales Verhalten, das einfach auch ein Teil davon sein kann, wie Sexualität ausgelebt wird. Dass man die Bilder danach wieder lösche, meint Hloch, das sei einfach nicht der Sinn der Sache. „Warum sollte man?“ Man könne sich die Bilder immer wieder ansehen, sich davon stimulieren lassen. Man hat eine Erinnerung, so wie auch ein Urlaubsfoto, das man Jahre später wieder in die Hände nimmt. An das Risiko, dass die Bilder in falsche Hände geraten könnten, denken viele einfach nicht.

Warum sollten sie auch?
In der analogen Fotowelt vergilbte so manche erotische Aufnahme in Kisten auf dem Dachboden oder in einem Buch versteckt, das ohnehin niemand in die Hand nahm. Wenn es dann doch einmal auftauchte, blieb es meist in den eigenen vier Wänden. Es war jedenfalls klar, dass es sich um private Aufnahmen handelt, die niemand anderen etwas angehen. Auch in der Welt der Stars wird in der Regel zwischen professioneller Nacktheit und privater Intimität unterschieden. Selbst eine Sängerin, die auf der Bühne in lasziven Posen auftritt, hat das Recht darauf, dass ihre Privatfotos privat bleiben.
Allein, die Grenzen wurden und werden immer wieder verletzt. Von Paparazzi, die sich auch schon in der analogen Welt mit Teleobjektiven auf die Lauer gelegt haben, bis zu Hackern, die digitale Fotos von privaten Speichern entwenden. Und nicht zuletzt spielen manche Stars auch bewusst mit Aufnahmen, die einen privaten Anschein vermitteln. Dass Miley Cyrus etwa Bilder von sich daheim in Unterwäsche auf Twitter stellte, war mit ein Teil ihrer Inszenierung, war Kalkül. Und der gewaltige Unterschied zu den jüngst veröffentlichten Promi-Nacktfotos: Sie machte es freiwillig.

Es geht sehr schnell
. Auch in der analogen Welt kamen schon Aufnahmen an die Öffentlichkeit, die nicht dazu gedacht waren. Doch derart massiv wie heute trat das Phänomen nicht auf. Was einen einfachen Grund hat: Es geht leicht. Mit einigen Mausklicks lässt sich ein Foto online stellen. Innerhalb kurzer Zeit kann es sich verbreiten. Und konnte man früher noch ein Originalbild oder ein Negativ vernichten, so hilft das bei einer digitalen Kopie nicht mehr. Und: Internetusern wird es leicht gemacht, einem dunklen Impuls nachzugeben – etwa mit Seiten, auf denen hunderte Menschen Fotos von Exfreundinnen online stellen. Ja dann, wenn es eh alle machen . . .

Und es gibt noch einen Faktor, der oft unterschätzt wird: die Technik. Oft passieren bei Handy, Tablet und Co. im Hintergrund Dinge, die man selbst gar nicht registriert. Und plötzlich liegen Bilder auf einem Onlinespeicher, vom dem man gar nicht wusste, dass es ihn gibt. Dass am Ende alle darüber schmunzeln können, passiert allerdings meist nur im Kino.

Nackt im Netz

Scarlett Johansson
Sie knipste sich 2011 nackt mit dem Handy, die Fotos wurden entwendet – und tausende User stellten ihre Posen nach. Der Trend scarlettjohanssoning war geboren.

Justin Bieber
Der Sänger schrieb 2012, dass sein Laptop und seine Kamera gestohlen wurden – und mit ihnen sehr persönliche Bilder. Kurz darauf twitterte ein vermeintlicher Erpresser ein Ultimatum. Doch am Ende stellte sich alles als PR-Gag für ein neues Video heraus.

Paris Hilton
Ein Exfreund stellte einen selbst gedrehten Porno mit der Hotelerbin ins Netz. Später veröffentlichte er das Video sogar auf DVD. Titel: „1 Night in Paris“.

Miley Cyrus
Die Sängerin spielt mit ihrer Sexualität – und hat schon in jungen Jahren Handyfotos von sich in Unterwäsche gepostet. Ein angebliches Nacktfoto von ihrem iPhone stellte sich als Fälschung heraus. Allerdings kursieren von ihr schon mehrere freiwillig geschossene Nacktfotos im Netz.

Jennifer Lawrence
Hacker haben in den vergangenen Tagen Dutzende Nacktfotos von Stars wie der Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence und Topmodel Kate Upton verbreitet. Sie sollen durch gezielte Attacken deren Nutzernamen und Passwörter für ihre Apple-ICloud erhalten und die Konten geknackt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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