Misstrauen: Wie Muslime unter IS leiden

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Misstrauen, Beleidigungen, zuletzt sogar Gewalt – Österreichs Muslime fühlen sich zunehmend ins Eck gedrängt. Nicht zuletzt auch wegen der IS-Terroristen im Irak und in Syrien.

Eigentlich wäre es ja zum Lachen. Eine junge Frau geht in den Supermarkt, legt ihre Einkäufe in den Wagen. Und kaum holt sie etwas Neues, fehlt ein Stück. Schließlich bemerkt sie aus dem Augenwinkel, dass jedes Mal, wenn sie sich kurz entfernt, eine alte Frau die Waren aus dem Einkaufswagen ausräumt und sie zurück ins Regal stellt. So weit, so Slapstick. Doch als die junge Frau die ältere Dame zur Rede stellt, ist das komische Element dahin. „Sie haben kein Recht, hier einzukaufen“, schreit die Frau. „Sie verseuchen ja die Lebensmittel für die Österreicher.“ Nun ist die 20-Jährige selbst in Österreich geboren. Doch zu ihrer Identität gehört auch ein weiterer Aspekt – sie ist Muslima. Und als solche auch nach außen erkennbar, denn sie trägt Kopftuch. „Ich war sprachlos“, sagt die junge Frau, die in einer Stadt im Waldviertel lebt und ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, zur „Presse am Sonntag“. Und so drehte sie sich um, ließ den Wagen stehen und ging aus dem Supermarkt.

Es ist nicht das erste Mal, dass sie wegen ihres Kopftuchs belästigt wird. Verbale Belästigungen kommen immer wieder vor. Einmal wollte ihr eine ältere Dame sogar das Tuch vom Kopf reißen. Zur Polizei ist sie nie gegangen. Nein, das hätte ja doch keinen Sinn, meint sie. Außerdem ziehe sie ja sowieso bald nach Wien. Da, so hofft sie, würde sie mit dem Kopftuch nicht so auffallen und hätte ihre Ruhe.

Doch auch in der Bundeshauptstadt kann ein Kopftuch Auslöser für Konflikte sein. Zuletzt gab es in Wien sogar mehrere tätliche Angriffe auf Muslimas. So wurden etwa Ende August zwei ältere Muslimas auf der Favoritenstraße von einem Mann attackiert. Wenige Tage später wurde eine 37-jährige Lehrerin in der U-Bahn beschimpft und geschlagen. „Beschimpfungen hat es schon öfter gegeben, das war fast schon Routine“, sagt das Opfer Zeliha Cicek. „Aber die Gewalt, die war neu.“

Folgen des Terrors.
Dass Muslime in der westlichen Welt und damit auch in Österreich immer wieder kritisch beäugt werden, ist mit eine Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001. Berichte über die radikalislamischen Taliban in Afghanistan verstärkten das Bild des Islam als rückständige und gewalttätige Religion. Die Anschläge von Madrid 2004 und London 2005 ließen den islamistischen Terror auch in Europa präsent werden. Und als in weiterer Folge bekannt wurde, dass in vereinzelten Moscheen, auch in Österreich, fragwürdige Imame ebenso fragwürdige Inhalte predigen – das Schlagwort „Hassprediger“ machte die Runde –, hatte das Misstrauen gegen Muslime den Mainstream erreicht.

Ein Misstrauen, das sich einerseits in der politischen Debatte niederschlug, etwa auch in der Frage, ob Moscheen in Österreich ein Minarett haben dürfen. Und andererseits auch in konkreten Aktionen gegen Muslime – von Graffitis à la „Einst: Jud. Jetzt: Moslembrut“ über Schweineköpfe, die auf dem Bauplatz einer Moschee deponiert wurden bis zu Brandanschlägen auf islamische Gebetshäuser. Und zuletzt wurden eben auch Muslime selbst zu Zielen von tätlichen Angriffen.

Dass sich die Stimmung zuletzt noch einmal deutlich aufgeheizt hat, mag auch den Ereignissen im Nahen Osten geschuldet sein – und den Gräueltaten des sogenannten Islamischen Staates (IS), jener Terrororganisation, die im Namen des Islam in Syrien und dem Irak Menschen vertreibt, tötet und all dies auch noch über das Internet offensiv und weltweit verbreitet. Nach den Taliban und der al-Qaida sind es nun die IS-Terroristen, die im Westen ein gewalttätiges und rücksichtsloses Bild des Islam vermitteln.

„Aber wenn der IS etwas macht, kann ich doch nichts dafür“, sagt Gewaltopfer Zeliha Cicek. Und auch die offiziellen Vertreter der Muslime betonen, dass man die Mitglieder des IS für Terroristen hält, die den Gedanken des Islam pervertieren. Und dass die Mehrheit der Muslime nichts mit ihnen zu tun haben möchte.

In Aussendungen und Interviews haben das unter anderem die Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) immer wieder betont. Und dabei auch eine gewisse Hilflosigkeit eingeräumt – so sagte etwa IGGiÖ-Präsident Fuat Sanac in einem „Profil“-Interview, dass sein Wort in extremistischen Kreisen nicht gehört werde. Ja, dass die offiziellen Islam-Vertreter bei radikalen Muslimen gar als Ungläubige gelten. „Sie reden nicht mit uns, sie grüßen uns nicht einmal.“

Dieses hilflos-passive Bild wird der IGGiÖ dann auch oft vorgeworfen: Man unternehme zu wenig, argumentiere in politischen Diskussionen immer wieder missverständlich und ergreife – etwa im Nahen Osten – auch immer wieder Partei für fragwürdige Organisationen, konkret für die Hamas. Gerade in Sachen IS leiste man aber hinter den Kulissen sehr wohl viel Präventionsarbeit, sagt IGGiÖ-Sprecherin Carla Amina Baghajati. So versuche man etwa über die Religionslehrer in den Schulen, „Immunisierungsarbeit“ zu leisten. „Denn wenn man den Islam richtig lehrt, ist man immunisiert gegen solche radikalen Dinge.“ Wichtig sei, möglichst früh anzufangen – denn erwischen könne man die Jugendlichen nur, wenn sie „noch nicht in den Fängen einer Ideologie gefangen sind“.
Daneben berate man auch Eltern, die sich Sorgen machen, dass ihr Kind radikalisiert werden könnte. Und schließlich will man künftig auch mit Podiumsdiskussionen, offenen Moscheen und über mediale Kontakte stärker versuchen, muslimische Werte zu vermitteln. „Denn“, so Baghajati, „es darf nicht sein, dass wegen dieser Terroristen eine ganze Religionsgemeinschaft in Generalverdacht gerät.“

Neue Dokumentationsstelle.
Abgesehen davon will sich die Glaubensgemeinschaft aber auch dem Phänomen der zunehmenden Aggression gegenüber Muslimen widmen. So soll noch im Oktober eine – bereits seit rund drei Jahren geplante – Gleichbehandlungs-Hotline für Muslime starten, bei der Konfliktsituationen gemeldet werden können. So wie etwa die jüngsten Vorfälle, bei denen es zu tätlicher Gewalt gekommen ist, aber auch jegliche andere Vorkommnisse, bei denen Muslime wegen ihrer Religion anders behandelt werden – im Guten wie im Schlechten. So sollen etwa auch Fälle erfasst werden, bei denen Vorfälle durch Zivilcourage positiv gelöst werden. „Wichtig ist“, sagt Baghajati, „dass Muslime nicht nur als Opfer dargestellt werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2014)

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