Russland: Die Zwangsehe mit dem chinesischen Drachen

CHINA ECONOMIC GROWTH
CHINA ECONOMIC GROWTHAPA/EPA/ROLEX DELA PENA
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Das Zerwürfnis mit dem Westen treibt Russland in die Arme neuer Freunde. Vor allem China wird in Moskau plötzlich gehätschelt. Die wirtschaftliche Realität ist prosaischer.

Wien. Es nahm sich aus wie ein Paradigmenwechsel, was Kremlchef Wladimir Putin vorige Woche öffentlich kundtat: Russland sei bei der Zulassung ausländischer Partner zu Ölförderprojekten „im Allgemeinen sehr vorsichtig“, erinnerte er an die Praxis: „Aber für unsere chinesischen Freunde gibt es natürlich keine Beschränkungen.“ Gemeint war die Idee des staatlichen Ölkonzerns Rosneft, China möge sich an der ostsibirischen Lagerstätte Vankor beteiligen. Sie ist eine der größten im Land.

Dass Putin gerade die Chinesen, denen er sonst vorsichtig gegenüberstand, einlädt, hat mit dem Schwenk von Europa weg nach Asien zu tun. Es sei einfach an der Zeit, weil es gelte, die Warenströme zu diversifizieren, erklärte Premier Dmitri Medwedjew am Montag: Mit den westlichen Sanktionen habe das nichts zu tun.

Selbst, wenn dies stimmt, wird der Schwenk nun beschleunigt. Firmen wie Rosneft bekommen wegen der Sanktionen keine langfristigen Finanzierungen mehr im Westen. Als Großabnehmer für Öl und Gas aus ostsibirischen Lagerstätten ist das Reich der Mitte ein willkommenes Gegengewicht, um Exportengpässe in den Westen abzufedern. Und China bindet wirtschaftlichen Austausch nicht an Russlands innen- wie außenpolitisches Wohlverhalten.

Kein einfacher Ersatzpartner

Moskaus Annäherung an China hat tatsächlich nicht erst jetzt begonnen. Im Laufe der vergangenen Jahre hat Russland sein Handelsvolumen mit China auf 100 Mrd. Dollar vervielfacht. Und auch, wenn sich Russlands Warenaustausch mit der EU immer noch auf 450 Mrd. Dollar beläuft, so ist doch bezeichnend, dass China kürzlich Deutschland als Russlands größten Handelspartner abgelöst hat.

Aber wie sehr das Reich der Mitte heuer in Moskau auch gefeiert wird: Die Annäherung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass China kein einfacher Ersatzpartner ist. Was Moskau als strategische Partnerschaft erwünscht, ist für Peking nur Teil des langfristigen Plans zur Diversifizierung seiner Energiebezugsquellen, hält die russische Zeitung „Wedomosti“ unmissverständlich fest.

China nützt Russlands Notlage maximal aus. So etwa im Mai, als der Gaskonzern Gazprom nach über zehn Jahren Verhandlungen einen Liefervertrag erhielt, preislich aber ausgequetscht wurde. „China ist der Sieger der Verwerfungen zwischen Europa und Russland“, erklärt ein Manager eines westlichen Gaskonzerns im Gespräch.

Qualität und Preis

Nun ist China nicht der einzige Gewinner durch Russlands Schwenk weg von Europa. Vom russischen Importstopp für westliche Agrarprodukte profitieren die Türkei, dazu südamerikanische und andere ostasiatische Staaten. Sie alle sehen im Moment ihre Chance.

Allein, der Schwenk verläuft nicht reibungslos. „Selbst, wenn die Umorientierung theoretisch möglich ist, ein Lieferantenwechsel führt in der Regel zu Preiserhöhungen“, erklärt Alexej Portanski, Handelsexperte auf der Moskauer Higher School of Economics: „Und die Produktqualität stimmt vielleicht auch nicht.“ Tatsächlich schossen die Preise nach oben: bei Hühnerfleisch laut Antimonopolbehörde in der zweiten Augusthälfte um 23 Prozent, bei Schweinefleisch um 30 Prozent.

Die neuen Partnerstaaten können den Westen nicht selbstverständlich ersetzen. „Wenn dies so leicht möglich wäre, hätte man es schon vor den Sanktionen getan“, erklärt Sergej Petrov, Parlamentsabgeordneter und zuvor Gründer des größten russischen Autoimporteurs Rolf: „Es ist eine psychologisch komfortable Show.“ So auch die jüngste Idee, den Autoimport zu beschränken. Laut Petrov sei das „einstweilen fast nicht möglich. Der Übergang vom europäischen zum chinesischen Auto wäre ein sehr langer Prozess.“

„Wie alkoholfreies Bier“

Vor allem glaubt kaum ein Experte, dass China schon bald jenen technologischen Input erbringen kann, den Russland zur Modernisierung dringend bräuchte. Dass der Westen derzeit keine Bohrtechnologie für die Förderung im Meer und aus Schiefergestein nach Russland liefert, kann auch China nicht kompensieren. Und selbst bei der Ausrüstung zur Förderung aus traditionellen Lagerstätten kann China nur Teile der Ausrüstung liefern. Diese sei „wie alkoholfreies Bier“, erklärt ein westlicher Ölexperte im Gespräch: „Sieht gleich aus, ist aber doch etwas anderes.“ Manfred Kastner, Chef des auf Russland fokussierten, österreichischen Ölfeldausstatters CAToil würde das so nicht formulieren. Aber für ihn steht fest: „Wenn die Sanktionen aufrechterhalten werden, ist natürlich der potenzielle Goldrausch beim Schieferöl in Russland gefährdet.“

AUF EINEN BLICK

Die wirtschaftliche Annäherung zwischen Moskau und Peking kann nicht über die historische Distanz zwischen beiden hinwegtäuschen. Auch heute sieht China Russland nur als Juniorpartner und Rohstoffquelle. Moskau wiederum fürchtet, dass China bei Investitionen in Ostrussland die Gegend schleichend übervölkert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2014)

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