Internationale Kommission erhärtet in Zwischenbilanz den Verdacht, dass Boden-Luft-Rakete die Malaysia-Airlines-Maschine über der Ostukraine zum Absturz brachte.
Den Haag/Kiew. Im Umkreis des Absturzorts nahe des ostukrainischen Dorfes Grabowo, auf einer Fläche von 60 Quadratkilometern, liegen immer noch Wrackteile und persönliche Habseligkeiten der Passagiere der Malaysia Airlines in den Weizenfeldern verstreut. Kurz vor der Veröffentlichung des Zwischenberichts einer niederländischen Untersuchungskommission traten die Leichen zweier Malaysier ihren letzten Weg in die Heimat an.
Eine Schuldzuweisung für die Katastrophe am 17. Juli, die 298 Todesopfer gefordert hatte, konnte und wollte der gestern in Den Haag publizierte Report nicht vornehmen. Insofern sah sich Sergej Lawrow, der russische Außenminister, bestätigt, der unlängst geätzt hatte, „niemand macht mehr den Mund auf“– und damit die Vorwürfe gegen Moskau meinte.
„Externe Ursache“
Doch die Erkenntnisse der international besetzten Kommission, die sich wegen der Kriegshandlungen in dem Gebiet nur sehr begrenzt auf persönlichen Augenschein stützt, sondern vor allem auf Voice-Recorder, Blackbox, Satellitenaufnahmen, Radar, Fotos und Videos, erhärten den Verdacht eines Abschusses durch eine Boden-Luft-Rakete. Alles deute auf eine „externe Ursache“ hin, es gebe keine Hinweise für einen technischen Defekt oder menschliches Fehlverhalten. Die Piloten des Flugs MH17 hätten kein Notsignal abgesetzt, der Flug von Amsterdam nach Kuala Lumpur sei völlig normal verlaufen, bis um 16.20 Uhr Ortszeit jeder Kontakt zu dem Flugzeug abriss.
Zahlreiche Objekte hätten mit hoher Geschwindigkeit den Rumpf der Boeing 777 durchsiebt; die Machine sei im Flug geborsten, und zwar mit der Nase voran, lautete das Fazit der Kommission. Bis zum Jahrestag des Unglücks im kommenden Juli kündigte sie einen endgültigen Bericht an. Malaysia und Australien wollen so bald als möglich detaillierte Ermittlungen der Wrackteile an Ort und Stelle aufnehmen. Eine forensische Untersuchung von in Leichen vorgefundenen Metallteilen könnte weitere Rückschlüsse liefern.
Die Tatsache, dass sich zum Zeitpunkt des Unglücks nur drei Passagierflugzeuge in der Nähe der Malaysia-Airlines-Maschine befunden haben, zerstreut die von russischer Seite lancierte These von einem Raketenbeschuss durch einen ukrainischen Kampfjet. Die Perforierung durch Schrapnelle – an zahlreichen Trümmern dokumentiert – legt vielmehr die Theorie von einem Abschuss durch eine Boden-Luft-Rakete nahe, wie sie westliche Geheimdienste implizieren. Der Gefechtskopf einer Rakete des Flugabwehrsystems vom russischen Typus Buk explodiert in der Nähe des Zielobjekts in hunderte Teile, um sie weitflächig zu durchsieben.
Prorussische Separatisten wiesen erneut jegliche Schuld von sich. „Wir verfügen nicht über die Technik, um ein solches Flugzeug abzuschießen“, erklärte Alexander Sachartschenko, der selbst ernannte Premier der „Volksrepublik Donezk“. Mehrere Aussagen von Separatistenführern in Telefonaten und Postings in sozialen Medien unmittelbar nach dem Absturz scheinen jedoch das Gegenteil zu beweisen. Auf einem später gelöschten Eintrag auf VKontakte, der russischen Facebook-Version, rühmte sich der Kommandant Igor Girkin (Kampfname Strelkow) des Abschusses: „Wir haben sie gewarnt – fliegt nicht durch unseren Himmel.“ Ein Kämpfer gab gegenüber der Zeitung „Corriere della Sera“ an, er habe den Befehl erhalten, an die Absturzstelle zu eilen, um die Piloten umgehend festzunehmen.
Die Separatisten behinderten im Anschluss die Arbeit der Ermittler und der OSZE-Beobachter. (ag.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2014)