Vorerst nimmt die Türkei nur eine passive Rolle in der Anti-IS-Allianz ein und stellt Luftwaffenstützpunkte zur Verfügung.
Istanbul. Der einzige Nato-Staat an der Grenze zum Machtbereich der Jihadistengruppe „Islamischer Staat“ (IS) will sich nicht aktiv an der internationalen Allianz gegen die Extremisten beteiligen: Die Türkei werde eine „passive Aufgabe“ bei der Anti-IS-Offensive übernehmen, entschieden Premier Ahmet Davutoğlu sowie hohe Militärs. Aus Sicht der USA ist die Rolle des IS-Frontstaates Türkei ganz besonders wichtig. Zuletzt besuchte Verteidigungsminister Chuck Hagel den Bündnispartner – heute, Freitag, wird Außenminister John Kerry in Ankara erwartet.
Nach Presseberichten ist die Regierung bereit, den USA und anderen Verbündeten türkische Luftwaffenstützpunkte zur Verfügung zu stellen und den türkischen Luftraum zu öffnen – allerdings nur für humanitäre Einsätze und zur Unterstützung der Logistik für die erwarteten Luftschläge gegen den IS in Syrien, nicht für die Angriffe selbst. Gleichzeitig will die Türkei mehr zur Grenzsicherung tun und die Einreise ausländischer IS-Kämpfer nach Syrien und den Irak unterbinden. Seit 2012, hieß es, seien 830 Europäer festgenommen und in ihre Heimatländer abgeschoben worden.
In den vergangenen Jahren tolerierte Ankara islamistische Gruppen an der türkisch-syrischen Grenze – in der Hoffnung, dass sie die Entmachtung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad beschleunigen würden. Stattdessen halten IS-Kämpfer seit Juni 49 Mitarbeiter des türkischen Konsulates in der nordirakischen Stadt Mosul in ihrer Gewalt und drohen mit Anschlägen auf türkischem Boden. Ankara argumentiert, eine aktive Teilnahme der Türkei an den Angriffen würde das Leben der Geiseln gefährden.
Ankara hat sich verkalkuliert
Noch vor wenigen Jahren war die Türkei sicher, mithilfe ihrer wirtschaftlichen, militärischen und politischen Stärke sowie mit dem Rückenwind der Veränderungen durch den Arabischen Frühling zur führenden Nahostmacht aufsteigen zu können. Doch Ankara hat sich verkalkuliert. Nordirakische Kurden erhalten plötzlich westliche Waffen, die in die Hände der PKK-Rebellen gelangen könnten. Die Türkei strebt eine Zwischenlösung an. Beobachter vergleichen die Lage mit 2003, als Ankara den USA die Stationierung von Bodentruppen für den Angriff auf Saddam Husseins Irak verweigerte. Das stürzte die türkisch-amerikanischen Beziehungen in eine Krise.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2014)