Neubau: Der Spirit von St. Ulrich

Der Bereich um den St. Ulrichsplatz in Wien Neubau ist übersichtlich, lauschig und kreativ. Catering- und Eventexpertin Hannah Neunteufel agiert (noch) von hier aus.

Wenn man sich an einem Ort wirklich zu Hause fühlt, wird er dörflich.“ Selten wird städtische Grätzlmentalität so hübsch in Worte gefasst wie von der Eventmanagerin Hannah Neunteufel, die projektweise auch fast dort wohnt, wo sie arbeitet. Das Dorf heißt St. Ulrich, der Hauptplatz liegt direkt hinter der Agentur Hannah's Plan in der Kirchengasse. Vor zehn Jahren übersiedelte das Büro vom Gassenkiosk im vierten Bezirk hierher, nachdem der Agenturchefin die Schleifmühlgasse „zu chic und hip“ geworden war. Zwei Attribute, die man Wien Neubau vermutlich nicht ungestraft absprechen würde. Der Stadtteil kokettiert gern mit dem Ruf als urbane Kreativoase des Boheme-Bürgertums. Die Wohnungspreise sind dementsprechend auf hohem Niveau, wenn auch die Mieten zuletzt leicht gesunken sind. Sobald die Hipness allzu offensichtlich wird, komme es leider oft zur klassischen Verdrängung der Kleinen durch die Großen, sagt Neunteufel. „Aber es gibt eben Gott sei Dank eine Riege von Stadtbewegern, die versuchen, einige Bastionen aufrechtzuerhalten.“

Länger Wurzeln geschlagen

Zu diesen Bewegern gehört Nuschin Vossoughi, Direktorin des Theaters am Spittelberg. Das in den Achtzigern eröffnete Pawlatschentheater in der Spittelberggasse bietet heute Musikern und Kleinkünstlern verschiedenster Couleur eine Freiluftbühne, die von Mai bis Oktober bespielt wird. Der baulückengroße Park, in dem Neunteufels Sohn vor Jahren spielte, befindet sich nur eine Gasse, aber viele tückische Kopfsteine entfernt. Ihr Sohn sei zwei gewesen, als sie sich vor 14 Jahren selbstständig machte, und sie habe glatt die Nerven gehabt, ihn zu allen Terminen mitzunehmen, sagt Neunteufel. Der Grund für die Agenturgründung sei der Eindruck einer insgesamt etwas laschen Catering-Landschaft gewesen, und „nachdem ich aus der Gastronomie gekommen bin, hab ich mir gedacht, das kann ich selbst auch.“ Dazu gehört Veränderung, völlig unverzichtbar für sie als selbst erklärten Unruhegeist, dem es sehr ungewöhnlich scheint, überhaupt zehn Jahre an einem Fleck geblieben zu sein. Darum treibt es sie und die Büromannschaft bald weiter, in ein 750-Quadratmeter-Objekt in der Berggasse mit allem Drum und Dran, Keller, Abstellflächen, Ballsaal. „Ich würde sagen, wir verschlechtern uns nicht direkt. Aber man hat halt immer ein lachendes und ein weinendes Auge.“ Letzteres mag auf mittlerweile Liebgewonnenes blicken, wie Barrie, den Änderungsschneider in der Burggasse, für den „nichts ein Problem“ ist. Oder die Buchbinderei Koch in der Sigmundsgasse – „alles können die“.
Hannah Neunteufels Nochgrätzl erstreckt sich weit in den Süden, bis zum Café Mentone, das am Anfang der Kirchengasse und gar nicht mehr in St. Ulrich liegt. Wer so argumentiert, hat aber das Grätzl nicht verstanden. „Der gemeinsame Spirit ist gemütlich-mitreißend. Der Ulrichsplatz ist unternehmungslustig, rege und dynamisch“, erklären die Veranstalter des „Sankt Ulrichsplatz Chakalaka“, das an diesem Wochenende stattfindet. Wo ein Grätzlfest nach einer afrikanischen Würzsoße benannt ist, kann das Ziehen von Grenzen kaum im Vordergrund stehen. Diesem Spirit folgend wechselt Neunteufel auch in mancher Mittagspause den Bezirk, um sich „beim Griechen“ zu verköstigen, der eigentlich eine Griechin ist: In der Lerchenfelder Straße, in der Josefstadt, liegt das La Grece, ein buchstäblich heißer Tipp, in dem man sich aus mehreren Gründen sofort wie auf Kefalonia fühlt. Natürlich wird in einer Event-und-Catering-Agentur beizeiten selbst gekocht, manchmal aber reiche die Zeit dafür nicht aus, sagt Neunteufel. Wenn der Hut noch nicht stark genug brennt, um Pizza in die Agentur liefern zu lassen, dann greift man entweder auf besagte Griechin zurück oder setzt sich in eins der umliegenden Lokale. Ins Ulrich zum Beispiel, direkt neben der Barockkirche St. Ulrich. Sie erscheint heute fast ein bisschen überdimensioniert, rund 800 Jahre nach ihrer Errichtung als Zentrum von Zeismannsbrunn, dem Urdorf, aus dem das ganze Grätzl hier entstanden ist. Andererseits gerade groß genug für all den Spirit in der Gegend.

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