Sicherheitspolitik: Wir lügen uns einfach sicher

GERMANY PROTEST NSA
GERMANY PROTEST NSA (c) APA/EPA/BORIS ROESSLER
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Europa ist in einem Weltmeister: im Wegschauen, wenn es um Sicherheitspolitik geht. Österreich ist oft dabei, wenigstens bei der NSA war es nicht so.

Schon 2008 klopften die USA in Österreich wegen Hilfestellung an, die Polizei möge auf Wunsch Washingtons Daten über hunderte potenzielle Straftäter schicken. Mit Betonung auf potenzielle, denn laut Informationen, die das Innenministerium vom FBI später erhielt, würden die Personen vorerst nicht überprüft und auch im Fall der Harmlosigkeit nicht von der Liste genommen. Nein, die Menschen würden für lange Zeit auf der Liste bleiben. Österreich weigerte sich, Speicher zu öffnen.

Allerdings wird nun ein großer Teil davon umgesetzt, der gerechtfertigte Abgleich von Daten über schwere Straftäter startet in diesen Monaten. Und vieles, was die NSA wissen wollte, suchte, überwachte und belauschte sie einfach selbst in Österreich und Europa. Das ging als NSA-Skandal in die Geschichte sein. Spätestens als bekannt wurde, dass sogar die vielen knappen SMS von Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, gelesen wurden, war die Empörung der braven Europäer groß – und zum Teil schlicht geheuchelt. Die eigentliche Sensation wäre gewesen, wenn die ehemaligen Kalten Krieger nach dem 11.September nicht mitgehört hätten. Nur das Ausmaß war überraschend.

Endgültig zur Farce wird die politische Hysterie bei der Lektüre jener – der „Presse“ vorliegenden – EU-Rats-Dokumente: Vergangenes Jahr sorgten viele der angeblichen Opfer der NSA für ein elegantes Ende der Untersuchungen über den NSA-Skandal. Ausgerechnet die sonst mutlose Truppe aus Wien protestierte gegen das zahnlose Mandat für die sogenannte Ad-hoc-EU/US-Arbeitsgruppe für Datenschutz. Wien kritisierte den laschen Prüfauftrag heftig. In einer Protestnote hieß es da: „Es war schon sehr auffallend, dass sich die Vorarbeiten für das Mandat der Arbeitsgruppe hauptsächlich darauf konzentrierten, was diese Arbeitsgruppe nicht prüfen sollte.“ Und: Dieses enge Mandat „könnte dem öffentlichen Image der gesamten Union schaden“. War zwar ohne Auswirkungen, also quasi für das inoffizielle Logbuch, aber immerhin!

Im Hintergrund hat es offenbar einen klassischen Deal gegeben: Einige große EU-Mitgliedsländer bekamen Einsicht in die Datensammlungen des US-Militärgeheimdienstes. Die Amerikaner sagen das zumindest vergleichsweise offen. Am 8.Juli 2013 hielten die US-Vertreter bei einer Verhandlungsrunde mit der EU fest: „Die USA unterstrichen, dass die von US-Geheimdiensten angewandten Mechanismen zum Sammeln von Metadaten auch den Geheimdiensten der europäischen Mitgliedstaaten genützt haben.“
Genau dies ist einer der vielen Unterschiede zwischen den USA und Europa: Die einen sagen offen, was Sache ist, die anderen schummeln sich durch. Dass der gesamte NSA-Skandal sang- und klanglos aus der politischen Wahrnehmung verschwunden ist, hat auch einen anderen Grund: Europa muss sich in den aktuellen militärischen Krisen wieder an die starke Schulter der USA lehnen. Anfangs planlos, später zwar besser abgesprochen, aber teilweise hysterisch-aggressiv bezieht die EU Front gegen Wladimir Putin. Jeder weiß, dass eine echte Friedenslösung über Washington laufen wird, auch wenn diesmal Angela Merkel mithören darf. Und es waren die Europäer, die die Demokratiebewegung in Kiew zu ihrem Protestzug in Richtung Europa ermunterten, davon wollen die Staatskanzleien nichts mehr wissen.

Bemerkenswert ist auch die langsame Reaktion der stolzen Nationen auf die massive Bedrohung durch die Mörderbewegung Islamischer Staat. Erst nach einem Aufruf aus Übersee schließt sich Frankreich notwendigen militärischen Maßnahmen an: Dabei sind es offenbar vor allem aus Europa stammende Paramilitärs, die da töten und zerstören. Wie fahrlässig Europa mit seiner Sicherheit umgeht, zeigt auch die fatale Kürzung einzelner Militärhaushalte. Entweder will keiner die Rückkehr der geopolitischen Auseinandersetzungen nach Europa sehen – oder die Regierungschefs hoffen auf den aufgerüsteten Onkel aus Amerika. Die Diskussion über das österreichische Heer ist besonders erbärmlich: Der Kanzler und die Regierung lösen Heer und Neutralität de facto auf und lassen den überforderten Verteidigungsminister im Regen stehen. Es wird schon weiter nichts passieren.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2014)

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