Der hohe Preis der Top-Medikamente

(c) Bloomberg (David Paul Morris)
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Bei einzigartiger Medizin diktieren die Hersteller den Kassen oft den Preis. Dieser ist jedoch nie von Dauer.

Sovaldi, das Medikament zur Heilung von Hepatitis-C, wurde unter Kritikern auch als die „1000-Dollar-Pille“ bekannt. Und einmal mehr entstand dadurch eine Debatte zu Fragen wie: Darf ein einzigartiges Medikament wirklich beliebig viel kosten? Und ist die Allgemeinheit bei Vorhandensein einer eben solchen Medizin automatisch dazu verpflichtet, sie den betroffenen Patienten auch zu bezahlen?

In der Praxis lautet die Antwort: Ja, mit kleinen Abstrichen. Fantasiepreise auf Kassenkosten sind nicht erzielbar, solche, die den Versicherungen richtig wehtun aber sehr wohl, wenngleich unter strengen Auflagen und innerhalb eines gesetzlich vorgegeben Korsetts der Preisgestaltung. „Ist die Wirksamkeit einer Medizin so hoch wie beispielsweise bei Sovaldi, haben wir gar keine andere Wahl als zu zahlen“, heißt es im Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Ein Beispiel: Für die äußerst seltene Stoffwechselerkrankung Morbus Fabry stehen hierzulande gerade einmal zwei zugelassene Medikamente zur Verfügung. Eines davon, Fabrazyme, kostet pro Infusion 3915,70 Euro. Geld, das den Patienten das Leben rettet.

Es ist der Hauptverband, der mit den pharmazeutischen Unternehmen darüber verhandelt, ob, und wenn ja, zu welchem Preis ein Medikament in den sogenannten Erstattungskodex kommt. Der Erstattungskodex ist jenes Verzeichnis, in dem Medikamente stehen, die die Krankenkassen bezahlen. Derzeit trifft das auf etwa die Hälfte aller in Österreich zugelassener Arzneien (9216) zu. 3800 davon bezahlt die Kasse anstandslos (sog. grüner Bereich), 780 weitere bedürfen einer Bewilligung (gelber Bereich). Ganz wenig Medikamente befinden sich im roten Bereich. (z. B. Sovaldi). Diese Medizin ist meistens brandneu und unterliegt noch wesentlich strengeren Kriterien.

Auf den Kodex kommen nur Arzneien, die der Medizin etwas Neues zu bieten haben, etwa bisher Unheilbares heilen oder im Vergleich zu ähnlich wirksamen Medikamenten deutlich weniger Nebenwirkungen mit sich bringen. Immer wieder kommt es jedoch vor, dass ein Hersteller Altbekanntes in neuer Form anbietet. Solche Versuche zu erkennen und auszusieben ist die Aufgabe einer Expertenkommission.

Entwicklung kostet. Vor dieser Kommission müssen die Hersteller schließlich auch ihre Preisvorstellung argumentieren. Und insbesondere bei Marktneuheiten dienen als Begründung nicht immer nur medizinische Aspekte. Neuentwicklungen, sagt Pharma-Branchensprecher Jan Oliver Huber, seien nämlich in aller Regel teuer. Die Kosten dafür müsse der Markt tragen.

Hinzu kommt der Umstand, dass nicht alle Medikamente, die der Medizin hilfreich sind, Leben retten oder Leid lindern, auch wirtschaftlich einschlagen. Ebensolche Fehlschläge müssten die Unternehmen dann mit anderen Medikamenten wiedergutmachen. Und drittens, sagt Huber, könne selbst ein äußerst teures Medikament nicht nur medizinisch, sondern auch volkswirtschaftlich gesehen nützlich sein. Dies sei zum Beispiel dann der Fall, wenn durch seinen Einsatz teure Folgekosten – im Fall von Hepatitis und Sovaldi zum Beispiel Organtransplantationen – vermieden werden könnten.

Das Zeitfenster, in dem echtes Geldverdienen mit einem Medikament überhaupt möglich ist, ist relativ kurz. Das ist jedenfalls die Erfahrung von Markus Müller. Er ist Vizerektor für Forschung an der Medizinischen Universität Wien und leitet die Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie. „Innerhalb der ersten zehn Marktjahre erleiden Arzneimittel einen starken Preisverfall.“ Zu tun habe das einerseits mit dem Ablauf des Patentschutzes, andererseits auch damit, dass es bei den meisten Spitzenprodukten nicht lange dauert, bis ebenbürtige Konkurrenz am Markt erscheint.

Anfang der 1990er-Jahre kamen die ACE-Hemmer (Blutdrucksenker) auf den Markt. Sie waren teuer. Nach Ablauf der Patente und dem Auftauchen generischer Konkurrenz fiel der Preis ins Bodenlose.

Dabei spielt ein weiterer Aspekt eine Rolle. Zwar rechtfertigt eine gleiche medizinische Wirkung allein noch keine Aufnahme in den Erstattungskodex, allerdings wird der Hersteller sein ebenbürtiges Produkt zu einem besseren Preis als der bisherige Platzhirsch anbieten. Die Versicherungen nützen die Situation dann für Preisverhandlungen mit allen Beteiligten. Müller prognostiziert deshalb auch Sovaldi keinen dauerhaften Status auf Alleinstellung. Konkurrenzprodukte seien bereits in Entwicklung. Der aktuell hohe Preise, sagt er, werde nicht lange zu halten sein.

Wenn bekannte Therapien nicht mehr helfen oder die Kasse diese nicht bezahlt, gibt es immer noch Alternativen. Nicht wenige Patienten setzen dann ihre Hoffnung in die Teilnahme an einer klinischen Studie. In solchen Studien erproben die Hersteller in Kooperation mit Universitätskliniken Wirksamkeit und Sicherheit einer im Labor entwickelten Arznei.

Tests am Patienten. Eines dieser noch nicht zugelassenen Wundermittel ist CLT019 von Novartis. Das Medikament soll den Krebs einer jungen Amerikanerin geheilt haben. Schon jetzt interessieren sich Patienten dafür, an der klinischen Erprobung teilnehmen zu dürfen. „Wir hoffen, CLT019 für die klinische Erprobung auch nach Österreich zu bekommen“, sagt Wolfgang Bonitz, Medical Director von Novartis Österreich. Gelingt das, kann sich im Prinzip jeder, der dafür geeignet ist, um einen Platz bewerben.

Die Auswahlkriterien für einen Platz in einer klinischen Studie sind jedoch streng. Für die Patienten ist eine Vielzahl an gesundheitlichen Voraussetzungen und Ausschlussgründen vorgesehen. Weder dürfen sie zur Teilnahme überredet, noch dafür bezahlt werden. Zudem muss jeder von ihnen eine oftmals von einer Ethikkommission entworfene Patientenerklärung unterschreiben, aus der hervorgeht, dass sie sich des Risikos einer Teilnahme bewusst sind.

Kasse zahlt

Welches Medikament in Österreich von der Krankenkasse bezahlt wird, das bestimmt der Hauptverband. Er gibt den sogenannten Erstattungskodex heraus, der jene Arzneien enthält, deren Kosten die Versicherung übernimmt. Auf dem Kodex steht etwa die Hälfte der 9216 zugelassenen Medikamente.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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