"Hölle auf den Märkten droht"

Der Politologe Tim Bale warnt vor "Chaos" in Großbritannien nach einem positiven Unabhängigkeitsvotum in Schottland.

Die Presse: Welche Folgen hätte ein Unabhängigkeitsvotum in Schottland für das restliche Großbritannien?

Tim Bale: London würde ins Chaos stürzen: weil niemand politisch vorbereitet ist und auf den Märkten die Hölle losbrechen würde.

Wäre Camerons Position nicht unhaltbar?

Manche werden seinen Rücktritt verlangen, aber es besteht keine verfassungsrechtliche Verpflichtung. Die Schuld an einem Ja-Votum würde nicht nur ihm gegeben werden, sondern der gesamten politischen Klasse Englands. Cameron hat bessere Werte als seine Partei, die in Umfragen hinten liegt. Truthähne stimmen nicht für Weihnachten.

Und wie sähe es für Miliband aus?

Verfassungsrechtlich gäbe es keinen Grund für seinen Rücktritt. Aber politisch wäre es für alle jene in der Labour Party, die nicht glauben, dass er die nächste Wahl gewinnen kann, die letzte Chance, ihn loszuwerden. Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird.

Wie würde Cameron bei einer Unabhängigkeit in die Geschichte eingehen?

Er würde sicher dafür in Erinnerung bleiben, aber ich bin nicht sicher, dass nur er die Verantwortung trägt. Wenn man ihm an etwas Schuld geben kann, dann an der Zustimmung zu einer Volksabstimmung zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt und unter besonders schwierigen Umständen.

Kann man nach einem Ja-Votum mit der Wahl in Großbritannien im Mai 2015 wie geplant fortfahren?

Man kann und wird. Eine Verschiebung wäre vielleicht vernünftig, aber es würde nach einer Regierung aussehen, die verzweifelt im Amt bleiben will. Es wäre nur bei einem überparteilichen Konsens möglich, aber den gibt es nicht.

Wenn Cameron gehen muss, kommt dann Londons Bürgermeister, Boris Johnson?

Ich glaube, Cameron wird bis zur nächsten Wahl bleiben. Wenn er gewinnt, wird er seine EU-Volksabstimmung machen und ebenfalls gewinnen. Aber nach dem, was möglicherweise in den nächsten Tagen auf uns zukommt, ist es vielleicht nicht sehr klug, den Ausgang von Volksabstimmungen vorauszusagen. (gar)

ZUR PERSON

Tim Bale ist Professor an der Queen- Mary-Universität in London. Der Politikwissenschaftler untersucht britische und europäische Politik, zu seinen Hauptschwerpunkten gehören konservative und Mitte-rechts-Parteien. Er ist unter anderem Autor des Buches „The Conservative Party from Thatcher to Cameron“. [ Queen Mary University]

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2014)

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