Die volle Last historischer Emotionen

Österreich – Frankreich: Das bilaterale Verhältnis ist wieder besser geworden, aber gegenseitige Vorbehalte bleiben.

Es gibt ein historisches Gedächtnis, das beständig ist. Und im Fall von Österreich und Frankreich ist es auch eine beständige Last für die bilateralen Beziehungen. Denn in einschneidenden Phasen der Geschichte, gerieten beide Nationen immer wieder aneinander. Da muss nicht auf 1793 zurückgegriffen werden, als französische Revolutionäre Marie-Antoinette köpften oder auf 1919, als Österreich in St. Germain zum Kleinstaat amputiert wurde.

Es reicht ein Blick in die jüngste Vergangenheit, in das Jahr 2000: Da führte Frankreich die „Sanktionen“ gegen die schwarz-blaue Regierung in Wien an. Auf beiden Seiten gingen damals die Wogen hoch. Und sie wurden von geschichtlichen Emotionen der mehrfachen Kriegsgegner getragen.

Heute wird im Bundeskanzleramt und im Außenministerium von einer Phase „außergewöhnlich guter Beziehungen“ gesprochen. Es gebe innerhalb der Europäischen Union in vielen Fragen „Überschneidungspunkte“. So hätten beide Länder etwa bei der EU-Agrarreform die gleichen Interessen. Übereinstimmung gebe es weitgehend auch in der Verkehrs- und Klimaschutzpolitik. Nur eine Frage, gesteht man selbst in Regierungskreisen ein, trenne weiterhin die Gemüter: die Atomkraft. Paris drängt auf einen Ausbau der Nuklearenergie in ganz Europa, Österreich sperrt sich dagegen mit aller Kraft.

Die nukleare Spaltung

Die Atom-Frage war auch eine der Ursachen für die letzten schweren Verstimmungen, die das Verhältnis zwischen Österreich und Frankreich von Mitte der 1990er-Jahre bis zum Jahr 2000 dominierten. Es begann alles damit, dass sich der damalige französische Staatspräsident Jacques Chirac von den Protesten des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky gegen die Atomwaffentests im Mururoa-Atoll desavouiert fühlte. Chirac reagierte äußerst verstimmt als Vranitzky seinen Unmut sogar bei einer Konferenz in Cannes öffentlich machte.

Zu dieser Zeit hatte freilich auch die Regierung in Wien gute Gründe, verstimmt zu sein. Denn Frankreich hatte zuvor vehement gegen den österreichischen EU-Beitritt interveniert. Paris fürchtete einen „germanischen Block“ in Europa und versuchte das neutrale Land mit einer Partnerschaft im EWR (Europäischen Wirtschaftsraum) abzuspeisen. Noch in den letzten Nächten der Brüsseler Beitrittsverhandlungen waren es Franzosen, die sich in Detailfragen gegen einen Kompromiss mit den österreichischen Verhandlern stemmten.

Zur Eskalation kam es aber erst ab dem Herbst 1999, als Staatspräsident Chirac versuchte, direkten Einfluss auf die Regierungsbildung in Wien zu nehmen. Als ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel trotz Chiracs Drohungen eine Koalition mit Jörg Haiders FPÖ einging, führte die französische Führung den Widerstand gegen die schwarz-blaue Regierung in Wien an.

Die „Maßnahmen“ trafen freilich nicht nur eine Regierung, sondern ein ganzes Land. Denn Österreich wurde in der französischen Öffentlichkeit zum Inbegriff des Bösen hochstilisiert. Im Nachrichtenmagazin „L'Express“ schrieb der ehemalige Mitterrand-Berater Jacques Attali: Österreich habe den Ersten Weltkrieg angezettelt, mit dem Österreicher Hitler sei die große Katastrophe über die Welt gekommen, schließlich habe Waldheim schockiert. Und nun Haider. „Österreich hat das 20. Jahrhundert vergiftet und droht nun mit dem 21. Jahrhundert dasselbe zu tun.“

Von Hitler bis Amstetten

Der damalige österreichische Botschafter in Paris, Franz Ceska, ist überzeugt, dass bis heute etwas von dieser medialen Anklage „übrig geblieben“ ist. „Über Österreich wird in der französischen Presse kaum berichtet, nur wenn Geschichten passieren, wie das Drama in Amstetten.“ Dann werde alles wieder aufgekocht, die „schlummernden Vorbehalte“ geweckt. Sonst aber, so ist Ceska überzeugt, herrsche eine eigenartige Gleichgültigkeit. „Das österreichisch-französische Verhältnis sei in diesen normalen Tagen am besten mit dem Begriff „wechselseitige Indifferenz“ zu beschreiben. Ein Mittelweg zwischen Aufgeregtheit und Gleichgültigkeit wurde nie gefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2008)

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