Der Kampf gegen IS ist langwierig: Es braucht Polizeimaßnahmen und bessere Prävention in Österreich und neben US-Bomben Lösungen für Irak und Syrien.
Was muss alles schiefgelaufen sein, damit jemand so aus der Spur gerät? Wie können sich junge Männer und auch immer mehr Frauen, die – oft durchaus behütet – in Österreich aufgewachsen sind, einer Mörderbande anschließen, die andere Menschen köpft, kreuzigt, vergewaltigt? Und wie können sie dann dabei auch noch glauben, auf der Seite der „Guten“ zu stehen? Diese Fragen, die derzeit intensiv diskutiert werden, verunsichern. Denn es gibt darauf keine einfachen Antworten. Österreichs Politik versucht nun, Antworten darauf zu finden, wie man mit den Verhetzten und den Verhetzern umgehen soll. Wie man verhindert, dass neue Rekruten den Weg zu den Terrorbrigaden des sogenannten Islamischen Staates (IS) im Irak und Syrien finden, und was man mit Kämpfern tut, die wieder zurückkehren. Dazu wurden jetzt einige mögliche Maßnahmen auf den Tisch gelegt. Man wird noch darüber diskutieren müssen, wie zielführend sie jeweils sind.
Gut ist jedenfalls, dass endlich etwas geschieht. Das war mehr als überfällig. Denn der Staat kann nicht zuschauen, wie eine gewalttätige Organisation mit menschenverachtender Ideologie an Boden gewinnt. Er muss sich, seine Bürger – und letzten Endes auch die Bürger im Irak und Syrien – davor schützen, Opfer dieser Organisation zu werden. Und er muss junge Menschen davor bewahren, wie hypnotisiert den IS-Rattenfängern in den alles andere als Heiligen Krieg zu folgen. Dazu bedarf es nicht nur polizeilicher Mittel, sondern auch einer besseren Prävention. Das setzt eine intensive, aufwendige Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen voraus. Verzweifelte Eltern, die ein Abgleiten ihrer Kinder bemerken, brauchen rasch Hilfe und Ansprechpartner – ohne fürchten zu müssen, ihre eigenen Kinder dabei gleichsam anzuzeigen. Für die Behörden ist das ein schwieriger Balanceakt. Aber nicht wenige der Verblendeten sind zu Beginn auch eine Art von Opfer, bevor sie im Kampfgebiet endgültig zu Tätern werden.
Österreich kann hier viel tun. Doch ein wirkungsvolles Vorgehen gegen den IS bedarf auch Maßnahmen, die die Fähigkeiten des österreichischen Staats weit übersteigen. Was den IS für fehlgeleitete Jugendliche so attraktiv, cool, ja fast „sexy“ macht, ist auch sein Erfolg. Um den Zulauf zu stoppen, muss dem IS der Erfolg genommen werden. Das bedarf militärischer Mittel. Die USA schmieden nun eine Allianz, die die Extremisten aus dem Irak und später auch aus Syrien vertreiben soll. Dass Präsident Obama als psychologische Vorbereitung auf einen längeren Einsatz mit pathetischen Worten gleichsam einen Krieg gegen den IS ausgerufen hat, mag aus innenpolitischen Gründen opportun sein. Letzten Endes wertete der Oberbefehlshaber der stärksten Militärmacht der Welt mit seiner Rede aber die Extremisten auf: Der IS erscheint damit für Sympathisanten noch mächtiger und interessanter. Ein Fehler, den schon George W. Bush im Umgang mit Osama bin Ladens al-Qaida begangen hat.
Ein Terrorstaat, in dem Unterdrückung durch den IS an der Tagesordnung ist, darf keine Zukunft haben. Die militärischen Anstrengungen der USA werden dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Um den IS endgültig zu vernichten, bedarf es aber auch einer Reihe politischer Maßnahmen. Es gilt, dem IS seine Basis an Sympathisanten zu entziehen. Im Irak konnten die Extremisten so rasch große Landesteile unter ihre Kontrolle bringen, weil lokale Sunnitenstämme dabei mitspielten. Den Stämmen, die sich zu Recht von der schiitisch geprägten Zentralregierung unterdrückt fühlten, kam der Aufstieg des IS gerade recht. Denn dieses Monster versetzt Bagdad in Angst. Auch viele regionale Mächte haben – obwohl sie es bestreiten – das Monster gefüttert und in Syrien für eigene strategische Zwecke benutzt. Mittlerweile laufen alle Gefahr, selbst gebissen zu werden.
Um den IS dauerhaft zu besiegen, braucht es neben militärischen Aktionen auch Lösungen für den Irak und – was weitaus schwieriger ist – für Syrien. Auch wenn dieses Monster einmal verschwunden sein sollte, müssen verstörende Fragen weiter präsent bleiben: Wie können Jugendliche in Österreich so aus der Spur geraten, dass sie sich solchen Extremisten anschließen? Und wie kann so etwas dauerhaft verhindert werden?
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2014)