Türkei: Aus dem Herzen Anatoliens in den Jihad

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Lange schauten die Behörden weg, als Extremisten in den Syrien-Krieg zogen. Doch inzwischen bedroht der IS auch die Türkei. Allein in den vergangenen zwei Wochen soll die Terrorgruppe 50 Kämpfer in Konya rekrutiert haben.

Istanbul. Für Yusuf war der Heilige Krieg in Syrien eine religiöse Pflicht. Der 27-jährige Türke (Name geändert) schloss sich wie viele seiner Landsleute der sunnitischen Jihadistengruppe Islamischer Staat (IS) nach Aufrufen im Internet an. In Syrien tobe die in der Zeit des Propheten Mohammeds vorausgesagte „Große Schlacht“, habe es da geheißen, sagte Yusuf türkischen Medien. Er kämpfte in Syrien, wurde verwundet und kehrte desillusioniert in die Türkei zurück. Der IS betrachte alle Andersdenkende als Ungläubige, sagte er.

Yusuf ist einer von schätzungsweise tausend Türken, die sich vom IS anwerben ließen. Die Opposition in Ankara schlug jetzt wegen der starken Beteiligung von Türken an der Terrormiliz Alarm. Allein in den vergangenen Tagen seien mehr als 50 türkische Staatsbürger zum IS nach Syrien gereist, um in den Jihad zu ziehen, erklärte der Parlamentsabgeordnete Atilla Kart.

Gut ein Drittel der neuen Gotteskrieger stammt nach Karts Angaben aus dem zentralanatolischen Konya, einer besonders frommen Provinz, die auch den Wahlkreis von Premier Ahmet Davutoğlu bildet. Davutoğlu wolle davon aber nichts wissen, klagte Kart. Der Premier habe ein Treffen mit ihm kurzfristig abgesagt, sagte der Oppositionsabgeordnete.

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Nicht bei Anti-IS-Allianz dabei

Es ist nicht das erste Mal, dass der Umgang der türkischen Regierung mit der IS-Bedrohung an der Südgrenze des Landes merkwürdig erscheint. Ankara hält sich auch mit einer Unterstützung für die Allianz gegen die Jihadisten zurück. Offiziell wird dies mit 49 türkischen Geiseln begründet, die sich seit Juni in der Gewalt des IS im Irak befinden. Die Türkei wolle das Leben der Geiseln nicht durch eine Teilnahme an Militäraktionen gegen die Extremisten aufs Spiel setzen.

Kritiker vermuten, dass mehr dahintersteckt als nur Rücksichtnahme auf die Geiseln. In den vergangenen Jahren hatte Ankara islamistische Gruppen in Syrien im Kampf gegen Präsident Bashar al-Assad unterstützt. Bedenken der westlichen Partner seien damals in Ankara auf taube Ohren gestoßen, sagte der ehemalige amerikanische Botschafter in der Türkei, Francis Ricciardone, jetzt vor Journalisten in Washington. Die türkische Regierung sei überzeugt gewesen, mit extremistischen Gruppen kooperieren und diese bändigen zu können.

Deshalb tolerierte die Türkei lange Zeit die Aktivitäten radikalislamistischer Gruppen im Grenzgebiet zu Syrien. Doch die Rechnung Ankaras ging nicht auf, der IS ist inzwischen auch für die Türkei eine Gefahr: Mitglieder der Jihadistengruppe drohen mit Terroranschlägen auf türkischem Boden. Für den IS ist die Türkei nicht nur als Transitland für Kämpfer und als Nachschubbasis von Bedeutung, sondern auch als Geldquelle.

Dieselgeschäfte mit dem IS

Experten werfen den Behörden vor, dem IS Millionengewinne zu ermöglichen, indem der Schmuggel von Dieseltreibstoff aus IS-beherrschten Gebieten Syriens in die Türkei ignoriert wird. Bis zu 15 Millionen Dollar im Monat verdiene der IS als Dieselexporteur, sagt der Oppositionsabgeordnete Mahmut Tanal. Die türkische Armee berichtete zuletzt über die Beschlagnahmung von 15 Tonnen Schmuggeldiesel an der Grenze. Zudem stellten die Soldaten mehrere Kilometer an Plastikrohren sicher: Die Rohre fungieren als Pipelines, in denen Diesel von syrischen Grenzdörfern in die Türkei gepumpt wird.

Auf türkischer Seite der rund 900 Kilometer langen Grenze findet der IS-Diesel viele Abnehmer, weil er mit etwa 1,5 Lira pro Liter – etwa 50 Eurocent – nicht einmal halb so viel kostet wie offizieller Diesel an türkischen Tankstellen. Inzwischen wird der Schmuggeldiesel angeblich sogar mit Tanklastwagen nach Zentralanatolien gebracht.

In jüngster Zeit haben die türkischen Behörden die Grenzkontrollen verschärft. Dorfbewohner beschwerten sich seither, dass der Dieselschmuggel nicht mehr so ungestört laufe wie noch vor einigen Monaten. Für IS-Kämpfer soll das Überqueren der grünen syrisch-türkischen Grenze schwieriger geworden sein.

Der Nachrichtensender CNN-Türk meldete zudem, die Türkei sei bereit, zusammen mit ihren Partnern auf syrischem Boden eine Sicherheitszone für Flüchtlinge einzurichten. Im Falle großflächiger westlicher Angriffe auf die IS-Hochburgen in Syrien werde eine neue Fluchtwelle Richtung Türkei erwartet, die durch die Errichtung von Flüchtlingslagern auf syrischem Boden abgefangen werden solle. Eine direkte Beteiligung an Angriffen auf den IS lehnt Ankara aber weiter ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

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