„Einen Wohlfahrtsstaat, der alles perfekt organisiert, gibt es nicht“

Dennis Hilgers
Dennis Hilgers(c) Österreichisches Patentamt/APA-F (Birgit Pichler)
  • Drucken

Ökonom Dennis Hilgers warnt vor einer Steuerreform auf Pump. Er fordert einen schlankeren Staat.

Die Presse: ÖGB, AK und ÖAAB haben Pläne für eine Steuerentlastung präsentiert. Eine Frage blieben sie schuldig: Kann sich der Staat weniger Steuereinnahmen überhaupt leisten?

Dennis Hilgers: Diese Frage würde sich wohl jeder Unternehmer stellen, bevor er die Preise senkt. Klar ist: Die öffentlichen Haushalte stehen prekär da, wir wissen überhaupt nicht, wie prekär.

Weil viele Schulden nicht ausgewiesen werden?

Ja, eigentlich müsste man die ausgewiesene Staatsverschuldung verdoppeln. Der Staat bildet viele Kosten nicht ab. Etwa die künftigen Beamtenpensionen. Jedes Unternehmen muss Rückstellungen bilden. Österreich bürgt für die Südstaaten, also Griechenland, Spanien und Co. mit 65 Milliarden. Wo taucht das Geld in der Bilanz auf? Nirgends.

Kann man einen Staat wie ein Unternehmen führen?

Warum nicht? Ökonomisches Denken heißt, mit Knappheit umzugehen, mit bestehenden Mitteln zurechtzukommen. Und wir leben seit Jahrzehnten über unsere Verhältnisse.

Was sagen Sie zu den Reformvorschlägen?

Was hier vorgelegt worden ist, das ist doch keine Steuerreform. Diese Art von Reform geht nicht vom Bedarf aus, sondern von der Wählergunst.

Mit Bedarf meinen Sie wohl: Wie viel Staat bedarf es?

Ja, wir müssen uns die Frage stellen: Wie schlank oder wie fett soll ein Staat sein? Wie es eine gewisse Frau Thatcher gemacht hat.

Thatcher ist tot, Keynes wiederauferstanden und Privatisierung ist des Teufels?

Darauf antworte ich: Wir hätten in Österreich alle miteinander keine Smartphones, wenn es noch die Österreichische Post- und Telegrafenverwaltung gäbe. Wir kommen um eine Frage nicht herum. Und die lautet: Was soll der Staat künftig leisten? Kann man Prozesse bündeln und manches privatisieren? Mir ist klar, dass sich das von einem Elfenbeinturm aus leicht sagt.

Dorthin wird man ja nicht gewählt . . .

Und deshalb managt die Politik nicht, sondern verwaltet. Noch nie hat der Staat so viel Steuern eingenommen, trotzdem schafft er es nicht, seine Schulden zurückzuzahlen.

Ist doch genug Geld da – EZB sei Dank . . .

Sie hat die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft gesetzt: Geld kostet nichts mehr. Wenn der Zins der Preis des Geldes ist, dann hat Geld keinen Wert mehr. Heute werden verschuldete Sozialstaaten genauso finanziert wie früher Kriege: mit billigem Geld. Als Bush in den Irak-Krieg zog, senkte die US-Notenbank die Zinsen.

Was wollen Sie? Ein Ende des Wohlfahrtsstaates?

Nein, aber uns muss eines klar sein: Einen Wohlfahrtsstaat, der alles perfekt organisiert, den gibt es nicht. Das ist eine Chimäre. Wir müssen das Leistungsangebot des Staates zurückbauen. Ich plädiere für eine organisierte Verantwortung.

Was verstehen Sie darunter?

Mehr Steuerverantwortung für Kommunen und Länder. Ein Bürgermeister soll mit seinen Einnahmen haushalten und die Bürger mitbestimmen lassen. Bevor Länder und Gemeinden Steuerverantwortung übernehmen, machen sie lieber Derivatgeschäfte.

Sie finden also eine Schuldensenkung wichtiger als eine Steuersenkung?

Ich sehe bei der Steuerdebatte die Gefahr, dass wir wieder auf die Schulden vergessen. Wir haben kein Gefühl mehr, was eine Überschuldung ist. Laut Maastricht beginnt sie bei einer Schuldenquote von 60 Prozent des BIPs. Österreich liegt bei über 80 Prozent. Dieser Verschuldungspfad muss durchbrochen werden. Wir haben nach Griechenland die höchste Pro-Kopf-Verschuldung in der EU.

ZUR PERSON

Dennis Hilgers leitet an der Johannes-Kepler-Universität in Linz das Institut für Public und Nonprofit Management. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Gebiet des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens. Dennis Hilgers ist 1980 in Hamburg geboren und lehrt seit 2012 in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

SCHELLING
Leitartikel

Überschriften ohne Inhalt sind noch lang keine Steuerreform

Die jüngsten Steuervorschläge von ÖGB und ÖAAB klingen gar nicht so schlecht – hängen auf der Finanzierungsseite aber völlig in der Luft.
NATIONALRAT: SPINDELEGGER / KOGLER
Innenpolitik

Reaktionen: Das Steuerkonzept befeuert alle Parteien

Den einen zu viel, anderen zu wenig: Proteste von Opposition, ÖVP-Wirtschaftsbund und Industrie.
Politik

Steuern: Gewerkschaft will Entlastung um sechs Mrd. Euro

ÖGB und AK legen ihr Steuermodell vor. Der Eingangssteuersatz soll auf 25 Prozent sinken, der Spitzensteuersatz erst ab 80.000 Euro zum Tragen kommen.
Taschenrechner und Geld - calculator and money
Politik

ÖVP-Arbeitnehmer wollen Steuerstufen abschaffen

Der ÖAAB schlägt die Einführung eines "Gleittarifs" vor, um die kalte Progression zu entschärfen.
Politik

IV und Wirtschaftsbund lehnen ÖGB-Steuerideen ab

Vermögenssteuern würden nur eine Verschiebung der Belastungen bedeuten, heißt es aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.