Ungarns Kommissar unter Beschuss

Tibor Navracsics
Tibor Navracsics(c) APA/EPA/BERND VON JUTRCZENKA (BERND VON JUTRCZENKA)
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Tibor Navracsics soll künftig für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgergesellschaft zuständig sein. EU-Abgeordnete erachten ihn dafür als ungeeignet.

Straßburg/Wien. Tibor Navracsics braucht starke Nerven, wenn er Ende Oktober sein Hearing vor den EU-Abgeordneten absolvieren muss. Denn schon jetzt zeichnet sich massiver Widerstand gegen seine Bestellung ab. „Wir werden sehr genau hinhören und nur Kandidaten unterstützen, die gewillt sind, die fundamentalen Werte der Europäischen Union zu vertreten“, kündigte der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Gianni Pitella an und fügte hinzu: „Tibor Navracsics sei gewarnt.“ Die grüne Vizepräsidentin des Europaparlaments, Ulrike Lunacek, bezeichnet seine Nominierung schlicht als „Fehlgriff“.

Navracsics muss als ehemaliger Justizminister nicht nur für die Kritik an der umstrittenen ungarischen Verfassungsreform herhalten, er wird auch angesichts seiner angepeilten Zuständigkeit für Jugend und Kultur zu heiklen Entwicklungen in seiner Heimat Stellung nehmen müssen. So etwa zur Aushöhlung der Autonomie von Universitäten und zu Plänen seiner Regierung, die Mobilität von Studenten einzudämmen. Ganz im Gegensatz zur Philosophie des EU-Programms Erasmus, mit dem die Mobilität von Jugend gefördert wird, bemüht sich die Orban-Regierung, eine Abwanderung von Studenten zu behindern. Sie plante unter anderem für Jugendliche, die im Ausland studieren, eine Verpflichtung, mindestens den doppelten Zeitraum ihrer Ausbildung in ihrer Heimat zu arbeiten.

Ähnlich kritische Fragen hat Navracsics zu seiner Zuständigkeit im Kultursektor zu erwarten. Denn in den vergangenen Jahren wurden in seiner Heimat einige unliebsame Chefs von Museen und Theatern ausgetauscht. Auch wurde der Vorwurf von Kulturschaffenden laut, die Regierung verteile Kulturgelder nur an Günstlinge.

Ungarische Medien sehen Navracsics hingegen als Bauernopfer von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Denn dieser sei ja von Ministerpräsidenten Viktor Orbán einst abgelehnt worden. Es wird darauf hingewiesen, dass der Fidesz-Politiker sein Wunschressort, den Handel, nicht bekommen habe und nun für seine neue Zuständigkeit Probleme bekomme.

Neben Navracsics stehen allerdings auch die Slowenin Alenka Bratušek und der Brite Jonathan Hill im Kreuzfeuer der Kritik des Europaparlaments. Die Abgeordneten können schließlich nur die gesamte Kommission wählen oder sie gänzlich ablehnen. (ag./wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

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