Schottland. Großbritanniens Premier, David Cameron, versprach den Schotten nach dem Nein zur Unabhängigkeit neue Autonomierechte bis 2015.
London. Am Ende fiel die Entscheidung deutlicher als erwartet aus: Mit 55,5 gegen 44,7 Prozent stimmten die Schotten gegen die Unabhängigkeit. Während enttäuschte Nationalisten in Glasgow noch ihre Fahnen einholten, kündigte der britische Premier, David Cameron, Freitagfrüh an, den Schotten – wie versprochen – mehr Autonomierechte einzuräumen. „Wir haben die Stimme Schottlands gehört.“
Schottlands First Minister, Alex Salmond, hat Zugeständnisse erreicht, aber sein Traumziel verfehlt. Er kündigte seinen Rücktritt an. Zuvor schon hatte er die Niederlage eingestanden. „Wir nehmen zur Kenntnis, dass Schottland zu diesem Zeitpunkt nicht für die Unabhängigkeit stimmte.“ Das Referendum bezeichnete er als „demokratischen Triumph“. 84,6 Prozent aller Wahlberechtigten nahmen teil.
Während sich die Unionisten über den Fortbestand des Vereinigen Königreichs freuen konnten, hatten auch die Nationalisten nicht wirklich Grund zur Trauer. „Heute sind wir alle Sieger“, sagte Phillip Blond, der Leiter des Thinktanks Res Publica der „Presse“.
Mehr Autonomie für Schottland
Obwohl das Votum gegen eine Unabhängigkeit ausgegangen ist, hat Schottland von dem Referendum profitiert. Die Londoner Parteien stehen Edinburgh im Wort, die Autonomierechte in Sachen Steuern, Gesundheit und Wohlfahrt weiter erheblich auszubauen. Cameron bekräftigte gestern den Zeitplan, wonach bis Ende Jänner ein Gesetzesentwurf vorliegen soll. Gleichzeitig bleiben die üppigen Subventionen des Landes erhalten, wogegen sich aus den anderen Landesteilen bereits Unmut regt. Man sei „ein wenig voreilig allzu großzügig“ vorgegangen, monierte der Londoner Bürgermeister, Boris Johnson, über die verzweifelten Angebote der Londoner Parteiführer wenige Tage vor der Wahl.
Schottlands Regierungschef Salmond mahnte umgehend die „rapide“ Umsetzung ein. Am frühen Freitagabend kündigte er dann zwar seinen Rücktritt von allen Ämtern an, sein Nachfolger dürfte sich aber nicht konzilianter geben, zumal im Mai 2015 auch britische Unterhauswahlen anstehen. Der Druck bleibt also gewaltig.
Britisches Pfund im Höhenflug
Fast mit Euphorie wurde die Entscheidung nicht nur an der Londoner Börse, sondern in ganz Europa aufgenommen. Der Londoner Aktienindex stieg bis Mittag um 0,74 Prozentpunkte, das Pfund erreichte vorübergehend ein Zweijahreshoch gegenüber dem Dollar. Die Großbanken RBS und Lloyds bekräftigten, ihre Firmenzentralen in Schottland lassen zu wollen. Die Bank of England schwieg – man wollte so rasch wie möglich zur Normalität zurückfinden.
Mit dem Ja zu Großbritannien bleiben ernste Fragen zur wirtschaftlichen Zukunft erspart. Das Pfund bleibt die gemeinsame Währung, der gemeinsame Wirtschaftsraum bleibt bestehen. Fast 80 Prozent der schottischen Exporte gehen nach England. Hier Grenzen einzuführen gefiel nicht einmal den Nationalisten. Für die schottischen Insel, die überwältigend für den Verbleib stimmten, bedeutet das Ergebnis das Andauern des warmen Subventionsregens aus London und Brüssel.
Großbritannien wird nicht kleiner
Das Vereinigte Königreich bleibt bestehen, Großbritannien schrumpft nicht. Vor dem Hintergrund wachsenden Unmuts über die Sonderbehandlung der störrischen Schotten kündigte Cameron gestern aber auch eine Prüfung der Rechte Englands, Wales' und Nordirlands an. „Auch England muss gehört werden“, sagte er. Das wird die Labour Party, die stark schottisch dominiert ist, ins Schwitzen bringen. Der Teilnahme an einer Kommission wird sich die Opposition aber nicht verwehren können.
Großbritannien ist nach zentralistischem Muster regiert, in London läuft alle Macht – und laufen alle Steuergelder zusammen. Versuche zur Stärkung der lokalen Verwaltung scheiterten oft auch an Desinteresse. So lehnten die Bürger Birminghams und Manchesters 2012 die Einführung direkt gewählter Bürgermeister nach Londoner Vorbild ab.
Die Liebe der Queen
Für gewöhnlich thront sie über der Politik. In einer raren Wortmeldung sagte die Queen gestern den Schotten ihre Unterstützung zu. "Wir teilen alle unsere Liebe für Schottland. Das sollte helfen, uns zu einen", erklärte Elizabeth II. in Balmoral – ihrer schottischen Residenz.
Erleichterung in der EU
Die Europäische Union ersparte sich mit dem Ergebnis in Schottland gleich doppeltes Kopfzerbrechen: Für andere Separatisten etwa in Katalonien oder der Lombardei wurde kein Präzedenzfall geschaffen, und die Union muss jetzt auch nicht über den Mitgliedsstatus eines unabhängigen Schottlands entscheiden. Auch die Nato erspart sich nun den Albtraum einer Verlegung der britischen Atom-U-Boote nach England.
Der Verbleib Schottlands in der Union stärkt auch die Proeuropäer in der britischen Politik, denn alle schottischen Parteien sind traditionell europafreundlicher als die Engländer. Premier Cameron hat für Ende 2017 eine Volksabstimmung über den Verbleib in der EU angekündigt. Von europäischen Politikern wurde das Ergebnis der Volksabstimmung begrüßt. Parlamentspräsident Martin Schulz sagte stellvertretend für viele: „Ich gebe zu, ich bin erleichtert.“
>> Diskutieren Sie mit im Themenforum zum Schottland-Referendum