Unabhängigkeitsforderungen dienen zur Durchsetzung materieller Interessen.
Paris. Eine Abstimmung über die Unabhängigkeit von Korsika oder der Bretagne, die mit dem Votum in Schottland vergleichbar wäre, wäre in Frankreich schlicht unvorstellbar. Obwohl die verschiedenen nationalistischen und regionalistischen Bewegungen seit Jahren Forderungen zur Anerkennung ihrer spezifischen Identität stellen – im Fall Korsikas einst sogar mit Bombenattentaten –, wird eine effektive Unabhängigkeit von den Wenigsten ernsthaft ins Auge gefasst.
Bei Wahlen erreichen sie meist nur eine marginale Zustimmung. In Korsika erhielten bei der letzten Wahl für das Inselparlament indes alle nationalistischen Listen zusammen immerhin ein Drittel der Stimmen. Auch in der Diskussion mit den Korsen wird schnell klar, dass die Nachfahren Napoleons der Unabhängigkeit zuliebe denn doch nicht auf die Subventionen aus Paris verzichten wollen. Die separatistische Idee fasziniert, auch in den französischen Überseegebieten. Sie dient aber mehr als Drohung, um Interessen gegenüber dem Zentralstaat durchzusetzen, denn als konkrete Zielsetzung.
Rebellische Überseegebiete
In einem Staat, der so sehr auf seine Einheit und seinen Zentralismus pocht, fühlen sich Basken, Bretonen, Katalanen und Korsen vor allem kulturell von Paris bevormundet. In den Randgebieten regt sich seit jeher immer wieder Widerstand von Nationalisten, die je nachdem eine Dezentralisierung, Autonomie oder sogar die Unabhängigkeit fordern.
Das wäre zumindest für die Überseegebiete in den Antillen (Guadeloupe, Martinique, Guayana), im Indischen Ozean (La Réunion und Mayotte) oder im Südpazifik (Neukaledonien und Polynesien) durchaus in der Logik einer zu Ende geführten Entkolonisierungsgeschichte. Doch auch dort kommen in der Debatte über die Bande zu Paris materielle Interessen vor offenen Rechnungen aus der Kolonialgeschichte. (rb)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)