Steven Marshall, Fotomarketing-Chef von Canon Europa, über die Angst vor Smartphones, hochauflösendes Video und Cloudlösungen in Zeiten von Hackern.
Macht Ihnen die Entwicklung in der Fotografie Sorge? Binnen zwei Jahren hat sich der Absatz von Fotoapparaten auf etwa 55 Millionen Stück halbiert.
Es werden heute viel mehr Fotos gemacht, als je in der Geschichte. Es stimmt schon, dass die meisten davon mit dem Handy gemacht werden. Aber die Entwicklung ist dennoch eine Chance für die Industrie. Menschen, die viele Fotos machen, sagen sich irgendwann: ich brauche eine richtige Kamera, weil ich bessere Fotos machen will. Und dann wollen sie eine Kamera mit einem großen Zoom oder sie sagen gleich, ich will eine Kamera mit einem großen Sensor und guter Bildqualität. Die Menschen kaufen vielleicht keine kleine Einsteigerkompaktkamera mehr, aber sie kaufen dann um ein paar hundert Euro eine höherwertige Kompakt-, System- oder Spiegelreflexkamera.
Werden Spiegelreflexkameras in ein paar Jahren nur noch für wirklich enthusiastische Hobbyfotografen sein?
Ich glaube nicht, dass es nur noch Profis sein werden, die digitale Spiegelreflexkameras (DSLR) verwenden . Wir sehen noch immer, dass Menschen von Handys auf DSLR upgraden. Das wird sich auch nichts ändern. Der Highend-Kompatkamera- und der Einstiegs-DSLR-Mark sind sehr lebendig, es gibt viele verschiedene Modelle. Ich sorge mich nicht. Es wird noch lange Kameras geben.
Sie haben Systemkameras erwähnt, einer der wenigen Wachstumsbereiche: Ist Canon mit seiner M-Serie gut repräsentiert? Der Erfolg ist ja überschaubar.
Wir haben erst kürzlich ein neues Objektive für den M-Bereich vorgestellt, wir werden bald eine neue Kamera präsentieren. Wir bleiben auf jeden Fall engagiert.
Aber man hat bei all den neuen Produkten den Eindruck, dass sich Canon lieber und stärker dem DSLR-Markt widmet als den Systemkameras.
Wir werden uns künftig stärker auf den Systemkamerabereich konzentrieren, als wir das bisher gemacht haben. Aber ich sehe langfristig den DSLR-Bereich stärker als den Bereich der Systemkameras ohne Spiegel und mit Wechselobjektiv. Da hat es in den vergangenen Jahren zwar ein starkes Wachstum gegeben, es hat sich aber im vergangenen Jahr wieder abgeflacht.
Wie lange wird es eigentlich noch Kompaktkameras um 200, 300 Euro geben, bevor sie endgültig von Smartphones verdrängt werden?
Es wird immer eine Nachfrage nach Kompatkameras geben, aber eben nicht mehr so stark wie früher. Smartphones haben in dem Bereich zwar viel weggenommen, trotzdem kaufen Menschen noch die kleinen Kameras, weil sie bessere Bilder machen wollen. Und noch sind die Kameras besser als Handys.
Weil ich sehe, dass Sie einen Blackberry verwenden: Vor zehn Jahren hat auch niemand gedacht, dass Blackberry einmal Probleme bekommen könnte. Niemand hat geglaubt, dass andere Hersteller die Vormachtstellung von Blackberry im Handybereich gefährden können. Heute ist die Firma tot.
Stimmt. Kamerahersteller müssen auf jeden Fall stärker auf die Wünsche der Kunden hören. Menschen wollen beispielsweise ihre Bilder mit andern teilen, darauf muss man reagieren. Dieser Wunsch muss auch bei neuen Produkten berücksichtigt werden. Man muss den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Bilder sofort zu teilen - wir und viele andere Hersteller ermöglichen das durch eingebautes Wifi.
Weil wir gerade davon sprechen: Ist Canon mit seiner Speichercloudlösung Irista nicht ziemlich spät dran? Man hat sie vor einem Jahr vorgestellt, etwa zwölf Jahre, nachdem Flickr auf den Markt kam und nur ein Jahr, bevor Leica - die jetzt wirklich nicht schnell sind mit Innovationen - seine Cloudlösung präsentiert hat.
Das wichtigste ist, dass wir Irista haben. Es ist nicht an Canon-Modell gebunden, es ist eine offene Lösung, jeder kann seine Bilder in der Cloud speichern. Ich glaube auch, dass wir eine Lösung zum Speichern, Bearbeiten und Teilen der Bilder haben, die einfacher ist als die der Konkurrenz.
Befürchten Sie nicht, dass nach all den Hackerangriffen in jüngster Zeit, nach den Fotos von Prominenten, die entweder aus der Cloud oder von deren Handies gestohlen wurden, Menschen davor zurückscheuen, Bilder online zu speichern?
Wir haben eine sehr sichere Lösung gefunden, wir erfüllen auch alle Anforderungen. Ich denke schon, dass wir genügend Sicherheitsstufen haben, um einen Angriff zu verhindern.
Ein Trend, den wir auf der Photokina sehen, ist hochauflösendes Video - 4k-Video. Damit kann man aus einem Video Einzelbilder herausnehmen, die der Aufösung einer 8-Megapixelkamera entsprechen. Bedroht das die Fotografie?
Wir haben eine Kamera mit 4k-Video, die 1Dc, die revolutioniert, wie professionelle Fotografen arbeiten. Wir haben einen Modefotografen, der von seinen Models ein Video macht und dann Einzelbilder als Fotos speichert. Noch ist die Herausforderung die Datenmenge, die bei 4k-Video anfällt. Wenn man mit 60 Bildern pro Sekunde arbeitet, sind das enorme Mengen. Das macht die Arbeit sehr kompliziert und vor allem auch mühsam, wenn man dann ein Foto heraussuchen soll. Ich glaube nicht, dass das schon eine Technologie für die Konsumenten ist, aber wir verfolgen das sehr genau. Für Profis sind wir mit der 1Dc gut aufgestellt.
Wenn sie fünf Jahre in die Zukunft schauen: Wird 4K-Video so verbreitet sein, dass Einzelbildfotografie nur noch ein Spezialmarkt ist?
Nein, ich glaube nicht, dass 4K-Video mit Einzelbildern die Fotografie ersetzen wird. Für Konsumenten ist der Aufwand viel zu groß, aber im Profi-Bereich wird es auf jeden Fall interessant.
Was werden wir im DSLR-Markt als große Innovation noch zu sehen bekommen? Das Megapixel-Rennen ist vorbei, auch die Schlacht um rauscharme Sensoren bei hohen ISO-Werten scheint geschlagen. Mit welchen neuen Features wollen Sie den Menschen die nächste 5D Mark IV oder die 1Dx Mark II verkaufen?
Verbesserungen im Videobereich werden immer wichtiger. Unsere 5D Mark II hat im Filmbereich einen Wandel ausgelöst, sie ist - ebenso wie die 5D Mark III - als Filmkamera sehr populär und wird auch in Hollywood-Produktionen eingesetzt. Die Möglichkeit, Bilder sofort mit anderen Menschen zu teilen, wird ebenfalls wichtiger. Das sind Trends und Wünsche, die wir genau beobachten. Zudem werden die Ökosysteme wichtiger, dass also Kameras teil eines geschlossenen Systems werden: Man macht Fotos, lädt sie in die Cloud, bearbeitet sie dort, teilt sie mit Freunden. Alles wird vernetzt sein.
Factbox
Steve Marshall ist Product Marketing Director, Consumer Imaging Group, bei Canon Europa. Er arbeitet seit 15 Jahren für den japanischen Kamerahersteller und war unter anderem auch Produktmanager für digitale Fotoapparate.