Der deutsche Ökonom Bert Rürup rechnet mit keinem „Big Bang“ in Sachen Steuerreform und sorgte mit provokanten Thesen für Diskussionsstoff im Finanzministerium.
Wien. „Es wird keine große Reform sein“, sagt Bert Rürup. Der frühere Wirtschaftsweise aus Deutschland, der viele Regierungen beriet, spielte Dienstagabend den Provokateur. „SPÖ und ÖVP werden schwächer und verlieren an gestalterischem Mut“, sagte er, dabei müssten sie im Zuge einer Steuerreform „hart sein und auch die eigenen Pfründe in Frage stellen“. Starker Tobak für den neuen Hausherrn im Finanzministerium. Hans Jörg Schelling hatte zum „Finanz im Dialog“ eingeladen. Topmanager, Banker, Politiker, Gewerkschafter waren gekommen, um den neuen Wind in der Johannesgasse 5 zu spüren. Der „Wind of Change“ blies vorerst aber Schelling und Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) am Podium ins Gesicht. Denn Keynote-Speaker Rürup hielt sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf. „Gute Zeiten sind schlechte Zeiten für Reformen. Und weil in Österreich oft gute Zeiten herrschten . . .“ Er muss den Satz nicht beenden. „Eine Big-Bang-Reform wird es nicht geben, weil es den weisen Diktator nicht gibt“, sagt er wenig später. Der „Preis der Demokratie“ sei es eben, Kompromisse zu finden. Also keine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer um sechs Milliarden, sondern wohl nur um vier, prognostiziert Rürup.
Weg mit Steuerprivilegien
Für Diskussionsstoff für die beiden Minister, Wirtschaftsforscher Karl Aiginger und Industriellen-Präsident Georg Kapsch war also gesorgt. Und es war Wifo-Chef Aiginger, der Rürup als Erster widersprach, der auf eine „große Reform“ pochte, eine Steuersenkung von „sechs Milliarden plus“ forderte. Alles darunter habe keinen Sinn. Die Entlastung des Faktors Arbeit will er mit höheren Tabak- und Umweltsteuern gegenfinanzieren. Es sei untragbar, „dass es in Europa höhere Subventionen für fossile Energie gebe als für erneuerbare“, sagte Aiginger.
Auch Rürup hatte zuvor Anregungen zur Steuerreform gegeben und im österreichischen Steuersystem mehr als 500 „Ausnahmetatbestände“ geortet. Steuerschlupflöcher also. Eines der größten sei das steuerbegünstigte 13. und 14. Monatsgehalt, das vor allem Besserverdienern nützt. Trotzdem, so Rürup, werde die SPÖ diese „heilige Kuh“ nicht schlachten. Hundstorfer widersprach Rürup nicht wirklich, sprach lieber von kleineren goldenen Kälbern, die im Zuge der Steuerreform eingeschmolzen werden sollen. So bekommt etwa jeder Brauerei-Bedienstete jährlich ein steuerfreies Deputat von 120 Flaschen Bier. Das wird der Fiskus anzapfen. Auch Lehrlinge werden wieder Krankenversicherungsbeiträge entrichten müssen.
Beim Durchforsten des Förderdschungels wird man auch bei der Industrie fündig werden. Industriellenvereinigung-Präsident Kapsch weiß das, ist auch gesprächsbereit. Mit einer Ausnahme: „Die Forschungsförderung darf nicht gekürzt werden.“ Im Gegenteil: Die Forschungsquote liege bei 2,8 Prozent des BIP und sei „meilenweit“ von den vereinbarten vier Prozent entfernt. Für die Wirtschaft seien „die bürokratischen Rahmenbedingungen erdrückend“. Zudem ortet er zu wenig Rechts- und Investitionssicherheit. So wissen Unternehmer nicht, ob die Gruppenbesteuerung im Zuge der Steuerreform zurückgenommen wird oder nicht.
Und Hausherr Schelling? Der Finanzminister beginnt mit seinem Credo: „Wir haben ein Ausgabenproblem.“ Und deshalb werde er bei der Steuerreform die „Konsolidierung des Budgets nicht aus den Augen verlieren.“ Es werde eine große Reform, versprach er Rürup. Schelling ließ dann aber mit kleinen Details zur geplanten Entbürokratisierung aufhorchen. So sprach er von der „antraglosen Familienbeihilfe“. Es sei nicht mehr zeitgemäß, dass sich Eltern nach der Geburt eines Kindes auf Ämtern mit Formularen herumschlagen müssen.
Ob Reformen von den Wählern nicht bestraft würden? Auf die Frage aus dem Publikum hat Rürup doch noch eine versöhnliche Antwort für SPÖ und ÖVP: „In schlechten Zeiten sind nicht nur Politiker mutiger, auch Wähler sind verständnisvoller.“ (gh)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2014)