Gemeinsame Grenzen, gemeinsamer Grenzschutz

Frontex. Die 2004 gegründete Agentur hilft bei der Überwachung der EU-Außengrenzen mit. Demnächst soll Frontex gemeinsam mit der italienischen Marine im Mittelmeer nach Bootsflüchtlingen Ausschau halten.

Brüssel. Kein Innen ohne das Außen – diese Plattitüde ist ein nicht unwesentlicher Aspekt der Funktionsweise der Europäischen Union. Denn ein Binnenmarkt bedarf fester Grenzen, innerhalb deren er seine segensreiche Wirkung entfalten kann. Dass dieser Prozess der Demarkation höchst brisant – und damit alles andere als einfach – ist, kann dieser Tage anhand der Ukraine beobachtet werden: Russland setzt bekanntlich alles daran, um seinem Nachbarn die Assoziation mit der EU zu verunmöglichen – denn sollte dieses Abkommen erfolgreich sein, würde es die Grenze des europäischen Rechtsraums nach Osten verschieben, und zwar genau zwischen die zwei ehemaligen Sowjet-Nachbarn.

Somit ist der Prozess der Ziehung von Grenzen essenziell – und das gilt nicht nur für die wirtschaftliche, sondern auch die geografische Dimension. Denn damit der Waren- und Personenverkehr innerhalb der Schengenzone auch tatsächlich frei und ungestört ablaufen kann, müssen sich alle Beteiligten sicher sein, dass die Außengrenzen der EU dicht sind. Diese Sicherheit ist Teil des impliziten Deals, denn die Mitglieder der Union untereinander und mit der EU-Kommission geschlossen haben: Die freie Fahrt für EU-Bürger wird durch die Aufgabe nationaler Souveränität ermöglicht – doch es muss im Gegenzug sichergestellt werden, dass diese Freiheit nicht missbraucht wird. Wer von gemeinsamen Außengrenzen spricht, muss also den gemeinsamen Grenzschutz mitdenken.

Im Zug der EU-Osterweiterung 2004 wurde allen Beteiligten klar, dass die Überwachung der schlagartig länger gewordenen Außengrenze der Union zu einer gemeinsamen Aufgabe geworden ist. Zu diesem Zweck wurde im selben Jahr die Gründung von Frontex beschlossen – der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Diese Institution mit Sitz in Warschau, von der sechs zuvor bestehende Ad-hoc-Zentren für verschiedene Aspekte von EU-Grenzschutz (etwa das Zentrum für Risikoanalyse in Helsinki oder das Ausbildungszentrum in Traiskirchen) absorbiert wurden, wird vom Finnen Ilkka Laitinen geleitet und beschäftigt momentan knapp 300 Personen. Das Budget von Frontex belief sich im Vorjahr auf rund 95 Mio. Euro, wovon rund zwei Drittel – also 62,6 Mio. Euro – für operative Zwecke ausgegeben wurden.

Die übergreifende Hauptaufgabe der Agentur ist die Koordination des Grenzschutzes der einzelnen EU-Mitglieder. Das geschieht beispielsweise im Rahmen von Ausbildungsmaßnahmen – so legt Frontex die Normen für die Ausbildung aller nationalen Grenzschutzbeamten fest und hilft den EU-Mitgliedern beim Training. Auch bei Forschung und Entwicklung leistet Frontex Unterstützung, des Weiteren erstellen Experten der Agentur regelmäßige Risikoanalysen der Lage an den Außengrenzen der Union, sind an der Entwicklung des gemeinsamen Informationssystems Eurosur beteiligt und assistieren, wenn benötigt, bei der Organisation von Abschiebungen.

Frontex greift allerdings auch ins operative Geschehen ein – etwa wenn es darum geht, überforderte EU-Mitglieder mit Personal und Material zu unterstützen. Das war beispielsweise 2012 im Zug der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine der Fall. Das Hauptaugenmerk lag zuletzt aber auf Süd- und Südosteuropa – also jenen EU-Mitgliedern, die mit Flüchtlingsströmen aus Afrika und Nahost konfrontiert sind. So wurden im Vorjahr im Rahmen der Operation Hermes italienische Grenzschützer auf Lampedusa, Sizilien und Sardinien von EU-Kollegen unterstützt. Ähnliche Operationen (Codenamen Indalo und Poseidon) fanden in Südspanien und Griechenland statt.

Frontex Plus

An den Bemühungen der italienischen Marine, die Bootsflüchtlinge aus Nordafrika vor dem Ertrinken zu retten (Operation „Mare Nostrum“) war Frontex bis dato nicht beteiligt – was sich mit Ende November ändern wird, denn ab dann wird die Agentur als Frontex Plus bei „Mare Nostrum“ mitmachen bzw. die italienische Operation ersetzen. Seit Jahresbeginn setzten bereits mehr als 100.000 Flüchtlinge nach Italien über. Finanzierung und genaues Ziel der Mission waren zuletzt allerdings noch unklar. Die deutsche Regierung will den Fokus Medienberichten zufolge auf die Rückführung der Flüchtlinge legen. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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