Geil kichernde Männer am Balkon

Marlene Streeruwitz schlüpft für „Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland“ in die Haut einer jüngeren Autorin – und bleibt sich doch treu.

Im Frühsommer veröffentlichte Marlene Streeruwitz den Roman „Nachommen.“, eine Kritik des Literaturbetriebs aus feministischer Sicht. Die 21-jährige Nelia Fehn, die mit ihrem Debütroman „Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland.“ auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht, bekommt darin ungefragt einen Crashkurs, wie es im Betrieb so läuft: Machtspielchen und ein dubioser älterer Verleger, der seinen jungen Shootingstar nur als Aufputz versteht, inklusive.

Gerade einmal drei Monate später macht Streeruwitz wahr, was sie beim Erscheinen von „Nachkommen.“ angekündigt hat: Sie veröffentlicht auch Fehns Roman. „Marlene Streeruwitz als Nelia Fehn“ steht als Autorenname auf dem Cover. Sie schlüpft in die Rolle ihrer eineinhalb Generationen jüngerer Figur oder führt ihr beim Schreiben die Hand. So oder so: Sie erweckt Fehn damit zum Leben und macht sie zur Autorin.

Das bringt einen Perspektivenwechsel mit sich. War „Nachkommen.“ weitgehend in der dritten Person erzählt, so ist „Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland.“ (ja, auch sie mit Streeruwitz-Punkt am Schluss) eine Ich-Erzählung und im Ton eines aufgeregten, ästhetisch mäßig ansprechenden Erlebnisberichts geschrieben. Ob Streeruwitz ihrer jungen Kollegin keine kunstvollere Sprache zutraut? Angesichts von deren Jugend wirkt die Sprache zwar glaubwürdig, großes Vergnügen kommt bei der Lektüre jedoch nicht auf.

Darum geht es aber auch nicht: Nelia Fehns Schilderung ihrer griechischen Erlebnisse ist eine Schmerzensgeschichte. Es beginnt damit, dass sie es von der kleinen Insel, auf der ihre Schwester Sidi seit Jahren mit ihrem griechischen Mann eine Pension führt, nicht auf die Fähre nach Athen schafft, wo ihr Freund Marios sie erwartet. Ein alter Freund der Familie, der sie mit dem Auto zum Hafen bringt, steckt ihr plötzlich die Zunge in den Mund. Nelia springt panisch aus dem Wagen, verpasst die letzte Fähre an dem Tag und dadurch auch die große Demonstration, zu der sie mit ihrem Anarchistenfreund Marios gehen wollte. Anrufen kann sie ihn nicht, da er häufig wechselnde Prepaid-Handys verwendet, um einer Überwachung zu entgehen.

Nelia kommt in der Folge noch mehrfach in ungute oder zumindest merkwürdige Situationen. Ob sie in Gefahr ist oder es sich nur einbildet, kann sie oft selbst nicht genau sagen. Auf jeden Fall erscheinen ihr viele Männer höchst zwielichtig. Als sie die Nacht gezwungenermaßen im Hotel verbringt, stehen am Balkon vor ihrem Fenster plötzlich zwei „geil kichernde Männer“ und beginnen kurz darauf zu onanieren.

Tags darauf ist Nelia mit zwei Skippern auf einer womöglich gestohlenen Jacht mit Schmuggelgut unterwegs. Wegen eines Sturms hält man auf einer kleinen Insel. Wieder fühlt Nelia sich bedroht und flieht. Diesmal kommt sie im Sommerhaus eines vor allem in Wien tätigen Theaterregisseurs unter. Bei den Gästen des Hauses geht es sexuell drunter und drüber. Am nächsten Tag zieht Nelia mit der schwangeren Hausangestellten weiter. Diese ist auf dem Weg in die Abtreibungsklinik.

Die Identifikationsfiguren in dem Roman sind, das kommt nicht sehr überraschend, durchwegs weiblich. Es sind Frauen aus der griechischen Bevölkerung, die mit den sehr stark spürbaren ökonomischen Auswirkungen der Krise irgendwie zurechtkommen müssen. Trotzdem haben sie fast immer ein Ohr für Nelias Sorgen.

Die Erzählerin ist eine sehr junge Frau mit teils alterstypischen Problemen („Ich hatte das Gefühl, als würde immer gerade das, was ich mir wünschte, vor meiner Nase weggezogen“). Aber sie entpuppt sich auch schon als sehr reflektierende Zeitgenossin. Über brutale Polizisten in Athen schreibt sie: „Den Eltern dieser Männer waren gerade die Pensionen um 20 Prozent gekürzt worden, viele verloren wegen der Grundsteuern ihre Häuser und Wohnungen. Diese Männer schlugen also Demonstranten nieder, die für die Interessen ihrer Eltern eintraten.“

Die Welt durch Nelias Augen zu sehen, in ihrem Kopf zu stecken, kann, zumal als männlicher Leser, streckenweise anstrengend sein. Aber gut anstrengend. Marlene Streeruwitz hat sich als Nelia Fehn verjüngt und bleibt sich doch absolut treu. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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