Sebastian Kurz: In New Yorks antiquierter Artusrunde

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Beim ersten Auftritt vor der UN-Vollversammlung macht Außenminister Kurz manches anders als seine Vorgänger. Der jüngste Redner will Aufmerksamkeit. Und zwar möglichst viel davon.

Das also ist die Weltbühne: Ein Podium vor grünem Marmor in einem schütter besetzten Saal mit ewig künstlichem Licht. Sebastian Kurz steht jetzt dort, wo in den Tagen zuvor Barack Obama, David Cameron, Hassan Rohani und König Felipe standen. Der Außenminister aus Austria ist der jüngste Redner der 69. Generalversammlung der Vereinten Nationen, der Einzige unter 30 Jahren. Und das sagt er auch, gleich zu Beginn seiner Ansprache. Denn das macht ihn interessant, das ist sein Ticket in der Artusrunde der Staatenlenker.

Kurz will Aufmerksamkeit, wenn er schon hier ist, möglichst viel davon. Deshalb hat er sich vorreihen lassen in der Rednerliste. Ursprünglich wäre Österreich erst am Nachmittag dran gewesen, zwischen Kasachstan und Usbekistan, in einer Gruppe mit Kiribati, den Seychellen und Andorra. Auch nett natürlich, aber vielleicht nicht ganz so gut, im Auditorium wären noch weniger Delegierte gesessen. Kurz spricht jetzt am Vormittag, nach Russland und Saudiarabien, unmittelbar nach dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Das ist besser, es gibt mehr Zuhörer. Seine Rede ist frisch, lebendig, persönlich. „Ich kann die Perspektive einer jungen Generation anbieten, einer Post-Kalter-Krieg-Generation, geboren drei Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs“, ruft er den Anzugträgern in den Bänken zu. Er spricht in einfachen, kurzen Sätzen, stellt Fragen, vor allem aber hält er sich knapper als andere vor ihm.


Kein rhetorischer Christbaum. Kurz hat sich durchgelesen, was seine österreichischen Amtsvorgänger in den vergangenen Jahren zum Besten gegeben haben. Er will es anders machen, er will keinen rhetorischen Christbaum schmücken und jedes erdenkliche Thema in einem Halbsatz erwähnen. Er konzentriert sich, wie schon davor in all den Gesprächen seiner UNO-Woche in New York, auf drei Themen: die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), die Ukraine und den UN-Amtssitz in Wien. Es gebe keine Zeit mehr zu verlieren im Nordirak, wo der „sogenannte Islamische Staat“ Kinder köpfe, Mütter vergewaltige und Väter aufhänge, warnt der 28-Jährige vor der UNO und lobt die Resolution gegen „ausländische Kämpfer“, die der Sicherheitsrat diese Woche einstimmig verabschiedet hat - wer immer sich IS anschließen will, wer Kämpfer finanziert oder transportiert, soll nun in allen 193 Staaten der Welt mit schweren Strafen rechnen müssen.

Für Kurz ist das keine abstrakte Gefahr, er schiebt sie nicht weg, sondern schneidet offen an, dass auch aus Österreich mehr als 140 Personen in den Jihad gezogen sind. „Die Schlachtlinien laufen durch unsere eigenen westlichen Gesellschaften“, sagt er. Bei aller Offenheit aber lässt er ein Szenario unausgesprochen, das mittlerweile umgeht wie ein Gespenst unter westlichen Regierungen und Sicherheitsdiensten: Man fürchtet, dass Anhänger des IS demnächst irgendwo in Europa einen Passanten entführen und auf offener Straße enthaupten könnten, so wie das schon in Sydney geplant war.

Die Krise in der Ukraine spielt in New York nur am Rande eine Rolle, genauer gesagt am Freitag im Konferenzraum fünf der Vereinten Nationen, bei einem „High-Level-Metting“ der OSZE. Dort bekräftigen der russische Außenminister Sergej Lawrow und seine Kollegen ihre bekannten Standpunkte. Auch Kurz meldet sich zu Wort. Russland sei Teil des Problems, müsse aber auch Teil der Lösung in der Ukraine sein. Vor der UN-Generalversammlung wiederholt er nun am Samstag einen anderen Stehsatz. Für die Ukraine solle es kein Entweder-Russland-oder-Europa geben, sondern ein Sowohl-als-auch, das dem Land Handel mit beiden Seiten ermögliche. Das ist nicht neu, Kurz sagt es immer wieder. Denn das hat er schon gelernt: dass man auf Botschaften draufbleiben muss, wenn man damit durchdringen will.


Reklame für Wien. Und in New York erreicht man während der Generalversammlung besonders viele Entscheidungsträger. In dieser einen Woche schrumpft der Globus zusammen zu ein paar Straßen in Manhattan im Umkreis des Glaspalasts der UNO. Spitzenpolitiker aus allen Ecken der Welt laufen einander permanent über den Weg, bei Empfängen, bei Abendessen, bei Konferenzen, bei bilateralen 15-Minuten-Treffen oder auch zufällig auf der 45th Street, wo der luxemburgische Premier Xavier Bettel eines Abends in Jeans an Kurz vorbeischlenderte – sie tauschten gleich Handynummer aus, Bettel ist auch erst 41, das verbindet irgendwie.

In fast all diesen Treffen jedenfalls machte Kurz Reklame für die Konferenzen, die demnächst in Wien stattfinden, eine für Abrüstung im Dezember und eine für Binnen-Entwicklungsländer von 3. bis 5. November, zu der auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon kommen wird. Der Südkoreaner mag Österreich seit seiner Zeit als Botschafter. Die Republik pflegt die Freundschaft nach Kräften. Unlängst spendierten die niederösterreichischen Firmen Svoboda und Wittmann Ban Ki-moons Büro neue Möbel. Am Samstag kam Kurz zur nachträglichen „offiziellen Büroeröffnung“ zum Generalsekretär und sprach 20 Minuten mit ihm. Ban nimmt sich viel Zeit für Österreich. Zu Beginn der Woche hatte er schon Bundespräsident Heinz Fischer getroffen. Gemeinsam trafen sie die Präsidenten des Irak und des Iran, und gemeinsam gaben sie auch eine Pressekonferenz. Die beiden ergänzen einander geradezu harmonisch: der eine jung und direkt, der andere erfahren und abwägend, beide mit einem echten Interesse an Außenpolitik.


Vorbilder Steinmeier und Sikorski. In seinem ersten Jahr als Außenminister hat sich Kurz schnell eingelebt in die Welt der Diplomatie. Er hat sich ein Netzwerk aufgebaut und sich das eine oder andere abgeschaut: von Frank-Walter Steinmeier etwa oder auch Polens Ex-Außenminister Radek Sikorski. Deren Auftreten empfindet er als stark, weil sie meistens klar und fokussiert sind, sich nicht verzetteln. Und stark will auch Kurz sein. Er wirkt nun selbstbewusster, immer noch höflich, aber nicht mehr ganz so übertrieben demütig wie zu Beginn, stattdessen selbstironisch. „Sie müssen keine Angst haben, die anderen Regierungsmitglieder sind älter als ich“, sagt er bei einem Treffen mit Auslandsösterreichern im Generalkonsulat. Er ist dort eine Attraktion, die Handyfotos blitzen während seiner Rede wie bei einem Popstar. Kurz, stets auf seine Außenwirkung bedacht, scheint es zu genießen. Für ihn ist es aber vor allem ein Termin, den er möglichst professionell absolviert.

Erstaunlich für sein Alter ist seine Coolness: Die Rede vor der UNO macht ihn nicht nervös, er hat sich den Saal angesehen, in Alpbach redet er vor mehr Leuten. Diese Fähigkeit zu relativieren hilft vermutlich. Vor allem aber bringt ihn seine soziale Intelligenz weiter. Kurz interessiert sich für Menschen, zumindest vermittelt er diesen Eindruck. Ob instinktiv oder berechnend: Ziemlich geschickt hat sich Kurz gleich zu Beginn seiner Amtszeit Mentoren gesucht, die er aktiv um Rat fragt. Das schmeichelt jedem, diese Bitte schlägt einem jungen Menschen niemand so leicht ab.

Einen guten Draht entwickelte er Kurz auch zu Catherine Ashton, der EU-Repräsentantin für Äußeres. Das zahlt sich aus. In New York traf er sie wieder und erhielt die noch unverbindliche Zusage, dass die nächsten Runden der Atomverhandlungen mit dem Iran wohl wieder in Wien stattfinden. Ein anderer Mentor, Terje Roed-Larsen, der Präsident des International Peace Institute, vermittelte ihm in New York eine Einladung zu einem Abendessen ins Haus des Milliardärs Mortimer Zuckerman, Herausgeber der „New York Daily News“. Es ging um die Ukraine, die Außenminister Norwegens und Luxemburgs waren auch dabei. Und obwohl Fisch nicht seine Leibspeise ist, war es für Kurz ein gelungener, weil kommunikativer Abend. Starre Sitzordnungen an langen Tafeln wie beim transatlantischen Abendessen mit US-Außenminister John Kerry im Waldorf Astoria behagen ihm nicht. Das hält er für antiquiert, ebenso wie den Ablauf der Generalversammlung, wo tatsächlich eine Woche lang ein Staatenvertreter nach dem anderen eine Rede über meistens irgendetwas schwingt.

Es war dennoch eine anregende Woche für Kurz, in der er auch Termine als Integrationsminister absolvierte und in der Bronx bei einem Scheich aus Gambia war, der in seinem Gebäude nicht nur eine Moschee, sondern auch eine kleine Synagoge untergebracht hat. Am meisten beeindruckt ihn jedoch sein Treffen mit dem Außenminister Jordaniens, der ihm von den 1,4 Mio. Einwohnern in seinem kleinen Land erzählt. Ob das seine Haltung zu den Flüchtlingsdebatten in Österreich ändere, wollte Kurz nicht sagen. So weit geht sein Mitgefühl nicht, er ist Politiker, der auch in New York über seinen Gewährsmann, Staatssekretär Harald Mahrer, Kontakt zur Regierungsklausur in Schladming hielt.


Jungspund und Methusalem. Es ist eben nicht alles hohe Diplomatie im Leben des Sebastian Kurz, der in New York bei Rabbi Schneier übrigens auch ein paar Worte mit Henry Kissinger, dem Methusalem der amerikanischen Außenpolitik, wechselte. Der 91-Jährige wünschte dem österreichischen Außenminister „alles Gute für die nächsten 50 Jahre in der Politik“. So lange werde seine politische Karriere wohl nicht dauern, entgegnete Kurz. Worauf Kissinger mit all seiner Erfahrung antwortete, dass man sich auf solche Festlegungen besser nicht einlassen sollte. Wieder etwas gelernt in New York.

Fakten

Die UN-Generalversammlung umfasst sämtliche 193 Mitgliedstaaten der Weltorganisation. Sie kann, ebenso wie der UN-Sicherheitsrat, Resolutionen erlassen, diese sind jedoch im Gegensatz zu denen des Rates völkerrechtlich nicht bindend, können aber einen hohen symbolischen Charakter haben.

Die Generaldebatte findet jedes Jahr im September statt. Sie wird von den Rednern gern für programmatische Ansagen genützt – gelegentlich aber auch für skurrile Auftritte, wie etwa einst von Libyens 2011 gestürztem und getötetem Diktator Muammar al-Gaddafi oder Venezuelas im Vorjahr verstorbenem Präsidenten Hugo Chávez.

Österreichs Außenminister nahm heuer zum ersten Mal an der Generaldebatte teil. Die Anwesenheit in New York nützte er auch für Treffen unter anderem mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, dem iranischen Staatschef Hassan Rohani oder der neuen Außenbeauftragten der EU, der Italienerin Federica Mogherini.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2014)

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