Die neue EU-Kommission lenkt zwar bei den Verhandlungen mit den USA ein. Von der völligen Streichung des umstrittenen Investorenschutzes wollte die designierte Handelskommissarin aber dann nichts mehr wissen.
Brüssel. Um das massiv in Kritik geratene Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, zu retten, hat die neue EU-Kommissionsführung eine Kehrtwende in den Verhandlungen angekündigt. Einen Tag vor ihrem Hearing am Montag im Europaparlament hatte die designierte EU-Handelskommissarin, Cecilia Malmström, die Parlamentarier wissen lassen, sie werde die umstrittene Schutzklausel für Investoren in der bisherigen Form nicht akzeptieren. Das war eine eindeutige Aussage, die sie allerdings nachher abschwächte.
"Keine Begrenzung der Zuständigkeit von Gerichten in den EU-Mitgliedsstaaten wird in diesem Zusammenhang akzeptiert werden; das bedeutet eindeutig, dass keine Investor-Staat-Streitbeteiligung Teil dieser Vereinbarung wird", hieß es in dem ursprünglichen Text, den sie später wieder zurückzog. Bei ihrem Hearing vor dem Handelsaussschuss des Europaparlaments wies Malmström am Montag zwar darauf hin, dass die vorgesehenen außergerichtlichen Schiedsgerichte auch von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kritisiert würden, wollte aber den Ausgang der Verhandlungen mit den USA noch nicht vorweg nehmen. "Ich kann nicht ausschließen, dass sie dann nicht mehr im Abkommen enthalten sind." Doch könne die Praxis, die in vielen bisherigen Freihandelsabkommen bestehe, nicht von heute auf morgen geändert werden.
Die von den USA und auch von EU-Konzernen geforderten außergerichtlichen Schiedsverfahren waren in den vergangenen Monaten von Grünen, Sozialdemokraten, einigen rechten Parteien, einzelnen Christdemokraten sowie zahlreichen NGOs als Angriff auf den Rechtsstaat und die Demokratie kritisiert worden.
Die neue EU-Kommission unter der Führung von Jean-Claude Juncker, die ab November die Verhandlungsführung übernehmen wird, geht trotz der Abschwächung von der bisherigen Linie des noch amtierenden Handelskommissars, Karel De Gucht, ab. Der Belgier hat stets bezweifelt, dass TTIP ohne den bei solchen Abkommen üblichen Investitionsschutz (ISDS, Investor-to-State Dispute Settlement) realisierbar sei. Schutzklauseln für Investoren finden sich tatsächlich in einer Mehrzahl der weltweit abgeschlossenen Freihandelsabkommen wieder und sind auch in dem eben ausverhandelten Abkommen zwischen der EU und Kanada enthalten.
Großinvestoren, die im Partnerland Unternehmen aufbauen, sollen dadurch vor diskriminierenden Gesetzesänderungen geschützt werden. Nachdem der Energiekonzern Vattenfall ein solches außergerichtliches Schiedsverfahren gegen Deutschland angestrengt hatte, weil die Regierung in Berlin den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen hatte, gerieten derartige Klauseln in den Fokus der Öffentlichkeit. Vor allem Umweltschutzgruppen warnten im Zusammenhang mit TTIP vor einer Unterwanderung der nationalen Gesetzgebung durch US-Konzerne. Diese wiederum weisen darauf hin, dass sie Sicherheiten für ihre oft millionenschweren Investitionen in der EU benötigen.
Eine Kehrtwende der neuen Kommissionsführung dürfte deshalb neue Probleme aufwerfen. Vertreter europäischer Konzerne– darunter Siemens, DHL oder Deutsche Telekom – haben bei einem Treffen mit den zuständigen Beamten der EU-Kommission bereits vor Monaten angekündigt, sie würden sich „jeglicher Einigung widersetzen“, in der es keinen ausreichenden Investorenschutz gebe. Auch die amerikanische Chamber of Commerce, die in Brüssel für das Abkommen Lobbying betreibt, sieht keinen Sinn in einem Vertrag, der ohne solche Garantien auskommt.
Das Verhandlungsthema Investitionsschutz ist bereits Anfang des Jahres wegen des massiven Widerstands auf Eis gelegt worden. Die EU-Kommission lud Gegner und Befürworter ein, ihre begründeten Stellungnahmen abzugeben. Die Auswertung dieser Stellungnahme sollte eigentlich noch bis November dauern. Im Europaparlament, das letztlich dem Freihandelsabkommen zustimmen muss, hat sich allerdings bereits ein breiter Widerstand gegen TTIP abgezeichnet, sollte der Investorenschutz in dieser Form verankert werden.
Neue Verhandlungsrunde
Im Washingtoner Vorort Chevy Chase beginnt indessen am Montag die bereits siebente Runde der TTIP-Verhandlungen. Das Abkommen soll die Grundlage für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von 800 Millionen Menschen schaffen. Das Abkommen betrifft nur zu einem geringen Maß den Abbau von Zöllen, da diese zwischen der EU und den USA bereits weitgehend eliminiert wurden. Es geht vielmehr um den Abbau sonstiger Handelshemmnisse und die Schaffung gemeinsamer Standards. (ag./wb)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)