Zinsniveau in Europa hat neuen Tiefpunkt erreicht

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Analyse. Die Geldmarktzinsen in Europa gehen weiter nach unten. Die Europäische Zentralbank hat damit einen verlustbringenden Teufelskreis für risikoaverse Anleger geschaffen.

Wien. Die von den Banken verursachte Finanzkrise und die darauffolgende Staatsschuldenkrise fordern weiterhin ihren Tribut in der Eurozone. Nirgendwo sonst kann man die Krisenfolgen besser ablesen als an der Entwicklung der Zinsen. Die haben mittlerweile einen neuen Tiefpunkt erreicht. Das hat große Auswirkung auf alle Österreicher – nicht nur kurzfristig, sondern auch auf lange Sicht.

Ausgangspunkt des Zinsabstiegs in der Eurozone ist die Europäische Zentralbank (EZB). Erst kürzlich hat sie ihren Leitzinssatz von ohnehin nur noch 0,15 Prozent auf 0,05 Prozent reduziert, womit die Geschäftsbanken bei der Zentralbank fast gratis Geld leihen können. Über den Leitzinssatz steuert die EZB auch die Zinsen auf dem Geldmarkt, an dem sich die Banken untereinander Geld leihen. Wenn sich die Banken – dank des niedrigen Leitzinssatzes – billig Geld bei der EZB holen können, geht die Nachfrage am Geldmarkt zurück.

Defizitäre Zinsprodukte

Vor dem Ausbruch der Finanzkrise notierte der Drei-Monats-Euribor, ein wichtiger Referenzzinssatz auf dem europäischen Geldmarkt, bei fünf Prozent. Danach ging der Zinssatz rapide zurück, auf ein Niveau von unter ein Prozent. Heute will die EZB die Konjunktur und die Inflation antreiben – und das mit allen Mitteln. Der Euribor macht daher mittlerweile weniger als 0,1 Prozent aus. So geringe Geldmarktzinsen gab es in der Eurozone noch nie.

Davon sind alle betroffen. Zum Beispiel jene, die einen Bausparvertrag haben. Immerhin ist der Bausparer hierzulande eine der beliebtesten Anlageformen. Derzeit sind laut der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) rund fünf Millionen Bausparverträge im Umlauf. Deren Verzinsung orientiert sich in den meisten Fällen an den europäischen Geldmarktzinsen.

Ein Beispiel: Die Raiffeisen-Bausparkasse berechnet den jährlichen Bausparzins, indem sie den Zwölf-Monats-Euribor im November heranzieht und davon 1,3 Prozentpunkte abzieht. Nur, derzeit notiert der Zwölf-Monats-Euribor bei 0,34 Prozent. Demnach läge der jährliche Bausparzinssatz bei minus ein Prozent. Zum Glück gibt es eine Mindestverzinsung, bei Raiffeisen macht sie aktuell bei 0,5 Prozent aus.

Die Bausparkunden müssen sich allerdings noch viel länger mit dem Mindestzinssatz abspeisen lassen. Damit sie wieder höhere Zinsen bekommen würden, müsste der Euribor auf über 1,8 Prozent steigen. Auf so hohem Niveau lag er zuletzt Anfang 2012.

Fazit: In den nächsten zwei, drei Jahren werden die Bauspar-Kunden nicht mehr als den Mindestzinssatz bekommen und reale Verluste nach Abzug der Inflation erleiden.

Die extrem niedrigen Zinsen machen es risikoscheuen Anlegern schwer, Alternativen mit geringem Risiko zu finden. Auf dem Anleihenmarkt gibt es kaum mehr etwas zu verdienen – zumindest bei halbwegs sicheren Emittenten.

Eine Voestalpine-Anleihe, die einen jährlichen Kupon von 4,75 Prozent abwirft und bis 2018 läuft, war schon zu Beginn des Jahres teuer (ISIN: AT0000A0MS58). Seither ist der Anleihekurs noch einmal um vier Prozent gestiegen und kostet rund 111 Prozent des Nennwerts. Wenn ein Anleger die Anleihe heute kauft, erzielt er eine jährliche Rendite von rund 0,5 Prozent (nach Abzug der Steuer und der Kosten).

Hoher realer Verlust

Wenn er die Anleihe bis zum Laufzeitende 2018 behält, häuft er wohl einen realen Verlust von mehr als sechs Prozent an. Oder er hofft darauf, sie mit Kursgewinn auf dem Sekundärmarkt weiterzuverkaufen. Das wäre aus heutiger Sicht und bei dem aktuellen Kursniveau allerdings eine überaus gewagte Strategie.

Es ist mittlerweile ein verlustbringender Teufelskreis, den die EZB für risikoaverse Anleger geschaffen hat. (ker)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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