Britischer EU-Kommissar in spe muss erneut vorsprechen

Jonathan Hill versicherte: „Ich bin nicht der Vertreter der Londoner City.
Jonathan Hill versicherte: „Ich bin nicht der Vertreter der Londoner City."REUTERS
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Der designierte britische Finanzmarktkommissar Jonathan Hill sieht sich nicht als Lobbyist britischer Interessen. Bei seinem Hearing konnte er vorerst nicht überzeugen.

Brüssel. Wer erwartet hatte, die Anhörung des britischen Kandidaten für die EU-Kommission würde zu einem Gladiatorenkampf ausarten, wurde gestern Nachmittag enttäuscht. Der Saal in der zweiten Etage des Europaparlaments, in dem Jonathan Hill sein dreistündiges Hearing absolvierte, glich mehr einem Streichelzoo denn einer Löwengrube. Im Vorfeld der gestrigen Veranstaltung ist heftig spekuliert worden, ob Hill, der für den Posten des Kommissars für Finanzmarktfragen vorgesehen ist, mit aggressiven Fragen über einen möglichen Interessenkonflikt bombardiert wird – Großbritannien ist ein Euro-Outsider, während sich der Finanzmarktkommissar vor allem mit Problemen der Währungszone wird herumschlagen müssen.

Doch schlussendlich gingen die verbalen Attacken nicht über den Vorwurf hinaus, er sei als ehemaliger Finanzlobbyist ein „Elefant im Porzellanladen“ – ein Vorwurf, den Hill von sich wies: „Ich bin nicht der Vertreter der City of London.“ Außerdem sei er ein Gegner des britischen EU-Austritts und habe seit seiner Nominierung keine Kontakte zu Lobbyisten gehabt.
Dass die Anhörung vergleichsweise zahm verlief, dürfte auch mit dem charmanten Auftritt des Briten zu tun haben, der alle Register zog, um die Parlamentarier für sich zu gewinnen. Gereicht hat es dennoch nicht. Der Ausschuss gab vorerst kein grünes Licht für Hill und bestellte den Briten für eine zweite Anhörung vor das EU-Parlament. Denn was die Materie anbelangt, blieb der Kandidat vage: Er wolle bestehende Vorhaben in Bezug auf die Bankenunion fortsetzen – wobei die Schaffung einer gemeinsamen Einlagensicherung für ihn nicht im Vordergrund stehe – und sonst an einer Kapitalmarktunion für alle 28 EU-Mitglieder arbeiten, die Finanzierungsprobleme für europäische Unternehmen lindern soll.

„Die Queen hat nichts dagegen“

Die mangelnde inhaltliche Präzision liegt vor allem daran, dass Hill kein Finanzmarktexperte ist. „Es ist offensichtlich, dass sein Kopf erst mit Inhalten gefüllt werden muss“, so ein Europaabgeordneter, der im Vorfeld des Hearings mit Hill zu tun hatte. „Die Frage ist nur, woher diese Inhalte kommen werden – aus Brüssel oder aus London?“
Genau diese Frage stand im Mittelpunkt des humoristischen Höhepunkts der Anhörung: der Frage eines Abgeordneten der EU-feindlichen britischen Partei Ukip, ob sich die Arbeit in der EU-Kommission mit der Loyalität gegenüber der britischen Krone vereinbaren lasse – Hill ist nämlich Mitglied des House of Lords. Seine Antwort: „Ich kann Ihnen versichern, dass die Queen nichts dagegen hat.“

Hill ist beileibe nicht der einzige Kandidat, der für Kontroversen sorgt. Gestern Abend standen zwei weitere „Problemfälle“ auf der Agenda: Tibor Navracsics, der ungarische Kandidat für den Posten des Bildungs- und Kulturkommissars, sowie der Spanier Miguel Arias Cañete, der das Ressort Energie und Klima übernehmen soll. Navracics gilt als heikel, weil er als Minister in der Regierung von Viktor Orbán unter anderem für die umstrittene Bildungsreform zuständig war, doch die Abgeordneten dürften sich davor hüten, ihn aus dem Rennen zu werfen. „Unter allen Kandidaten, die Orbán nach Brüssel schicken könnte, ist er noch der erträglichste“, so ein Insider. Cañete dürfte es indes schwieriger haben: Ihm wird unter anderem Sexismus und ein Interessenkonflikt vorgeworfen (seine Familienmitglieder sind an Ölfirmen beteiligt).

Eine Petition gegen den Spanier sammelte bis Mittwochnachmittag mehr als 200.000 Unterschriften ein. Was für ihn spricht: Die zwei größten Parlamentsfraktionen, EVP und S & D, haben informell vereinbart, ihre Kandidaten nicht gegenseitig abzuschießen. Und Cañete gehört wie Navracsics zum EVP-Lager – anders als Hill, dessen Tories zur Fraktion der Konservativen und Reformer (ECR) zählen. Einen Konflikt um Hill wünscht sich dennoch kaum jemand in Brüssel – auch nicht der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der London gern entgegenkommen möchte, um den drohenden „Brexit“ zu verhindern. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2014)

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