Wahre Welt und Warenwelt

Der Post Colonial Flagship Store eröffnet im Wiener Museumsquartier. Und hinterfragt künstlerisch Komfortzonen und Territorien der Doppelmoral.

Riesengroße Kleider, die nach chinesischen Schnitten und aus bunten afrikanischen Stoffen gefertigt sind. Ein Bankschalter, an dem man den Afro – das Gegenstück zum Euro – erwerben kann. Eine Agentur, die dem geneigten Wohltäter Patenschaften für vereinsamte Europäer vermittelt. Willkommen im Post Colonial Flagship Store; der etwas andere Gemischtwarenladen öffnet Anfang Oktober seine Pforten im Wiener Museumsquartier.

Ein Kolonialwarenladen der Jetztzeit ist es also, in dem in unterschiedlichen Abteilungen Produkte und Dienstleistungen aus der postkolonialen Welt angeboten werden. Das Projekt kuratiert Sven Kalden, gemeinsam mit seinem Kollegen Georg Klein. „Wir haben zum Beispiel einen Künstler, Ciss Kanakassy, der selbst Geld produziert“, erzählt Kalden. Der senegalesische Künstler handelt im Shop mit dem Afro. Seit 2001 arbeitet er an dieser neuen Währung für alle afrikanische Staaten, die United States of Africa. Seine Geldscheine zeigen Bilder aus der Vergangenheit des Kontinents,
afrikanische Unabhängigkeitskämpfer: auf einem 50-Afro-Schein etwa Patrice Lumumba, den ersten Premier des unabhängigen Kongo.

Verkehrte Welt. Der Afro ist der Versuch einer Antwort auf die Berliner Konferenz von 1884, die den Grundstein für die Aufteilung Afrikas in Kolonien legte. Der Afro als „Währung der Hoffnung“, das ist freilich erst einmal Utopie: „In Afrika, im Senegal bezahlt man immer noch mit dem Franc. In einem Land, das immer noch mit der Kolonialwährung arbeitet, wird es so schnell keine Unabhängigkeit geben“, sagt Kalden. Das Verhältnis zwischen Afrika und dem Westen ist auch Thema der Künstlerin – und Shop-in-Shop-Betreiberin – Gudrun F. Widlok. Sie allerdings kümmert sich vorrangig um Europäer. Widlok betreibt eine Agentur, die Patenschaften für vereinsamte Europäer an afrikanische Großfamilien vermittelt. „Die psychische Verwahrlosung und die Einsamkeit der entwickelten, kapitalistischen Welt“ wolle Widlok bekämpfen. Ihr gehe es nicht um Geld, sondern um die Erfahrung von Identität, Fremdheit und Heimat. Im Portfolio der Agentur finden sich mittlerweile auch Volunteerships für junge Europäer. Sie reisen nach Afrika – nicht aber etwa, um dort zu helfen, sondern um sich helfen zu lassen. Als Alternative zur Psychotherapie. Anmeldung und Registrierung erfolgen direkt im Post Colonial Flagship Store.

Bewusstseinsbildung. Warum aber gerade ein Flagship-Store? „Flagship-Stores vermitteln sehr oft das Gefühl, dass alles okay, alles schön ist. Dass es eine durch und durch gute Marke ist, die hier verkauft wird“, meint Klein. Dem Besucher wird eine saubere Konsumwelt suggeriert. Dass diese jedoch allzu oft auf der Ausbeutung von Billiglohnländern beruht, wird ausgeblendet. Die insgesamt 16 am Store mitwirkenden Künstler aus Europa, Afrika, Asien und Lateinamerika wollen Bewusstsein schaffen. Und das auch mit sinnlichen Erfahrungen. Durch Aufbauten und Installationen etwa, die „sehr stark über Materialien funktionieren“, wie Kalden sagt.

Es sei nicht nur der Intellekt gefragt, es sind die Sinne: das Sehen, Spüren, Riechen, Schmecken.“ Denn: „Wir ändern aufgrund unseres intellektuellen Verständnisses – wenn wir zum Beispiel erfahren, dass eine bestimmte Firma Arbeiter in Bangladesch ausbeutet – nicht unser Verhalten. Da gehört oft viel mehr dazu.“

Die Ausstellungsidee ist vor etwa einem Jahr entstanden. Klein und Kalden arbeiten häufig mit politischen Themen, haben sich gemeinsam mit neokolonialen Formen beschäftigt. „Wenn man sich heute umsieht, tauchen die alten Strukturen immer öfter auf. Nicht mehr in der Politik, nicht mehr territorial gedacht, sondern in der Ökonomie. Die wirtschaftliche Kolonialisierung, die Abhängigkeit zwischen einzelnen Staaten, wird immer stärker“, sagt Klein.

Konsumverhalten. „Uns ist häufig bewusst, dass gewisse Dinge nicht so ganz rund laufen. Dass wir von Produkten umgeben sind, deren Produktion nicht ganz einwandfrei abläuft“, sagt Klein. Man könne also ständig Dinge toll finden und gleichzeitig ein Unbehagen verspüren. „Man weiß, dass da ein Haken ist; eine ständige Doppeloral ist das. Einige drehen sich weg und sagen: ,Das interessiert mich nicht.‘ Jeder muss für sich entscheiden, wie er damit umgeht.“

Und wie sie selbst damit in ihrem Projekt umgehen wollen, haben die Kuratoren schon entschieden. „Wir werden natürlich nie an den Punkt kommen, an dem wir nur alles richtig machen. Der Mensch ist per se kein lupenreiner, kein perfekter Mensch. Uns geht es darum, die Doppelmoral aufzuzeigen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen – und zwar bewusst witzig, sarkastisch und ironisch.“ So ist wohl auch der Wunsch der Kuratoren zu deuten: „Der PCFS ist natürlich in erster Linie eine Marke. Wir hoffen auf Wachstum, auf Expansion und darauf, dass sich unser Flagship-Store auch in anderen Städten der Welt etablieren kann.“

Tip:

Post Colonial Flagship Store. Eröffnung am 2. 10., 19 Uhr. Der PCFS hat bis 23. November geöffnet, dienstags bis sonntags von 13 bis 19 Uhr, Eintritt frei. Im Freiraum Quartier 21 International, Museumsquartier Wien. www.quartier21.at

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