Lernen – ohne Emotion geht gar nichts

Horizont erweitern. Letztlich kommt es auf jeden einzelnen Mitarbeiter an, ob Weiterbildung gelingt. Corporate Universities aber sind jedenfalls dann erfolgreicher, wenn das Lernen eine Herzensangelegenheit wird. Von Michael Köttritsch

Lernen, sagen sich viele Erwachsene insgeheim, das ist Arbeit. Und damit eine üble Verpflichtung. Wenn dann auch noch von lebenslangem Lernen gesprochen wird, dann klingt das nach einer Drohung. Dabei lernen Menschen ständig – ob sie wollen oder nicht. Sie sind neugierig und haben Lust daran, Neues zu entdecken. Das Problem, das viele mit dem Lernen haben, tritt dann auf, wenn sie jemand dazu zwingt.

Kindern gehe das Lernen sprichwörtlich unter die Haut, sagt Gerald Hüther, der eine außerplanmäßige Professur an der Universität Göttingen innehat. „Mit der Begeisterung werden neuroplastische Botenstoffe freigesetzt. Das wirkt wie eine Gießkanne, die düngt. Alles, was auf diese Art und Weise gelernt wird, bleibt in Erinnerung.“

Doch dem Kindesalter entwachsen, lasse sich diese Gießkanne nicht mehr so einfach aktivieren. Die Motivation für das Lernen sei: Wie komme ich am schnellsten zur guten Note bzw. zur Belohnung? Oder: Wie kann ich die schlechte Note bzw. die Bestrafung verhindern? Lernen unter dieser Prämisse sei nichts anderes als Abrichtung und Dressur, sagt Hüther. Und daher bleibe vom Erlernten auch wenig im Gedächtnis hängen.

Freude oder Angst
Das ist die Falle, in die konventionelle Bildungseinrichtungen tappen. Moderne (Hoch-)Schulen, Corporate Universities und Unternehmensakademien, sind wesentlich weiter. Sie versuchen, die Lernenden „emotional zu labilisieren“, wie John Erpenbeck, Professor an der Steinbeis University Berlin, es nennt. Inhalte werden durch erlebnis- und erfahrungsorientiertes Lernen erschlossen: „Wenn Gefühle und Emotionen am größten sind, gelingen die besten Lernerfolge.“ Das gelte für Freude wie Angst: „Ohne Emotionen geht nichts.“

Bei Kindern zeige sich das besonders deutlich. Sie lernen Begriffe wie „Mama“ oder „Apfel“ nicht, weil sie ihnen ständig vorgeplappert werden, sondern weil sie mit „Mama“ die Person der Mutter verbinden. Die Mutter wird so ein „emotionaler Träger“. Ein anderes Beispiel ist das Lesen: Kinder lernen es nicht um des Lesens Willen, sondern entwickeln nur dann Lust daran, wenn sie das Vorbild ihrer Eltern als Leser erleben. Das bedeutet: Die Vorbildfunktion der Führungskräfte ist nicht zu unterschätzen. Erpenbeck rät Unternehmen deshalb auch, erfahrene Mitarbeiter als Mentoren einzusetzen und Coaching anzubieten.

Nicht unerheblich ist das Klima des Lernorts. Klar ist: Man lernt am liebsten, wenn man sich anstecken lassen kann. Nicht von ungefähr siedeln sich Unternehmensakademien abseits der eigentlichen Bürogebäude an. Stimmen muss das Klima aber auch auf der Beziehungsebene. Lernende müssen das Gefühl haben, nicht als Objekt, sondern als Mensch betrachtet zu werden. Das gelingt, wenn sie gefragt werden: Was interessiert Sie? Wie wollen Sie lernen? Welche Bedürfnisse haben Sie?

Beförderung ist nicht alles
Zurück zu den Emotionen: Emotionale Aufladung bei Erwachsenen passiert, wenn klar wird, welche Möglichkeiten sich mit einer Zusatzbildung auftun. Dabei gehe es nicht um die mögliche Beförderung, sondern darum aufzuzeigen, was Weiterbildung auch außerhalb des beruflichen Kontexts bringt, sagt Hüther: „Wir müssen einladen, inspirieren und ermutigen.“

Das heißt vor allem Lernmöglichkeiten in der Praxis zu eröffnen, die wesentlich nachhaltiger sind als Lernsituationen im Hörsaal. Sie vertiefen einerseits das Wissen der Mitarbeiter. Noch wichtiger aber: Lernen in der Praxis stärkt die Kompetenzen. Unter diesen Kompetenzen versteht Erpenbeck „die Fähigkeit, in zuweilen durchaus chaotischen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln“.

Weil sich aber vielleicht eine Wohnung, vielleicht sogar eine Ehe, aber sicherlich keine Inhalte vermitteln lassen, wie Rolf Arnold, Professor für Berufs- und Erwachsenenpädagogik an der TU Kaiserslautern, einmal formulierte, sind letztlich die Mitarbeiter selbst verantwortlich, ihre Handlungsfähigkeiten zu verbessern. „Man muss als Mitarbeiter einen Vertrag mit sich selbst machen“, sagt Erpenbeck, „auf welchen Feldern man eigene Kompetenzen erweitern will.“ Führungskräfte und Personalabteilungen könnten das nicht erzwingen, aber ein Umfeld schaffen. Das wiederum manifestiere sich in der Unternehmenskultur: „Werte, die nicht verinnerlicht wurden, werden emotional nicht gelebt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2014)

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