Mabel Au, Leiterin des Büros von Amnesty International in Hongkong, spricht über die Proteste.
Die Presse: Sie sind selbst Hongkongerin. Verglichen mit westlichen Demokratien, wo sind die Unterschiede?
MabelAu: Ich hatte das Glück, in einer sehr internationalen Stadt aufzuwachsen. Wir hatten auch Wohlstand und Freiheit. Aber seit zehn Jahren spüre ich, dass diese Freiheit nicht mehr dieselbe ist.
Was meinen Sie damit?
Wir hatten eine freie Presse, die Journalisten konnten über alles schreiben. Heute respektieren die Behörden und die Regierung die Journalisten nicht mehr. Bei wichtigen Dingen werden sie gelegentlich daran gehindert zu berichten: etwa, wenn ein chinesischer Staatschef kommt.
Wie steht es um die Versammlungsfreiheit?
Hongkong hat eine lange Kultur sehr friedlicher Demonstrationen. Nach Kundgebungen räumen die Teilnehmer selbst den Müll auf. Doch seit geraumer Zeit braucht man Dokumente, die Erlaubnis der Behörden, für Demonstrationen. Das ist nach internationalem Recht nicht nötig. Sie schränken die Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein! Das ist meine größte Sorge.
Wird Druck auf das Umfeld der Anführer ausgeübt?
Im Fall des Studentenführers Joshua Wong war das so. Er lebt noch bei seinen Eltern. Nach seiner Festnahme durchsuchten sie sein Zuhause, nahmen seinen PC mit. Für seine Familie war das verstörend.
Es hat aber den Anschein, als hielte sich die Polizei nun zurück.
Ja. Nach dem Einsatz von Tränengas waren die Menschen sehr zornig. Nun will die Polizei ihr Image aufpolieren. Die Lage entspannt sich – bis auf Übergriffe durch Gegner der Occupy-Bewegung. Wir wissen nicht, wer diese Leute sind.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2014)