Tolles Theater über ein Reich im Zerfall

LANDESTHEATER NIEDEROESTERREICH
LANDESTHEATER NIEDEROESTERREICHAPA/ROLAND SCHLAGER
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Philipp Hauss hat für St. Pölten zwei Romane von Joseph Roth dramatisiert: sehenswert.

Ein Soldat kehrt aus dem Ersten Weltkrieg heim, er hat ein Bein verloren und eine Auszeichnung bekommen. Er ist guten Mutes. Er verachtet die „Heiden“, die Gott, Kaiser und Vaterland beschimpfen, weil der Krieg ihr Leben zerstört hat. Der Soldat will ein neues beginnen: mit Frau, Ziehtochter und Drehorgel. Aber alles geht schief. Joseph Roths Roman „Die Rebellion“ (1924) hat einiges von Büchners „Woyzeck“ und auch von Kafka. Heutige kennen die Traumata der Kriegsheimkehrer vor allem aus US-Filmen wie Oliver Stones „Geboren am 4. Juli“ mit Tom Cruise. Doch hat auch Europa eine lange Tradition auf diesem Gebiet. Eines der bekanntesten Bücher ist „Draußen vor der Tür“ von Borchert, das sich aber auf den Zweiten Weltkrieg bezieht.


Achtzigerjahre-Ästhetik. Im nö. Landestheater in St. Pölten hat Burgschauspieler Philipp Hauss Roths „Rebellion“ mit dem „Radetzkymarsch“ kombiniert. Die Aufführung erinnert in ihrer 1980er-Ästhetik etwas an Claus Peymann, hat einige irritierende Momente, wenn altösterreichischer Ton „eingedeutscht“ wird („Radetzkymarsch“ wurde von Michael Kehlmann und Axel Corti großartig verfilmt und war auch bei den Festspielen Reichenau im Südbahnhotel zu sehen), insgesamt aber: ein beeindruckender, vor allem schauspielerisch großartiger Abend. Angesichts der vielen Aufarbeitungen des Kriegs im heurigen Gedenkjahr muss man sagen: Ja, da hat St. Pölten etwas Besonderes gewonnen.


Kultroman. „Radetzkymarsch“ war durch mehrere Generationen ein Kultroman, auch wenn die Familie Trotta, „das junge Geschlecht“ mit dem Helden von Solferino, der Kaiser Franz Joseph das Leben rettete, von unserer Realität eher weit entfernt ist. Nicht aber das von Roth in seiner warmherzigen, melancholischen Art so einmalig geschilderte Väter-und-Söhne-Drama. Martin Schepers hat ein schleißiges Bühnenbild in den Guckkasten des Landestheaters gebaut, mit Sperrholz, Plastikplanen, schiefen Ebenen und Rutschbahnen.


Grandios: Wojo van Brouwer. Michael Scherff als Kriegsheimkehrer Andreas Pum aus „Die Rebellion“ und Wojo van Brouwer als resignierter versoffener Leutnant Carl Joseph von Trotta aus dem „Radetzkymarsch“ sind komplementäre Prototypen, der eine will sich nicht unterkriegen lassen, der andere ist schon unten, obwohl noch gar kein Krieg ist.

Beide sind blendend, van Brouwer mit schwarzen Schatten um die Augen tappt wie ein Bär in seinem Leben herum, versucht, sein weiches Herz im „Neunziggrädigen“ (Schnaps) zu ertränken, und bleibt doch ein loyaler Untertan wie sein Erfinder Roth, der am Alkohol starb und der k.u.k. Monarchie schreiberisch euphorische Denkmäler setzte, obwohl er auch notierte: „Die kalte Sonne der Habsburger erlosch, aber es war eine Sonne gewesen.“

Hauss ist stilistisch nicht unbedingt originell, aber von Schauspielerführung, Zeichnung der Figuren versteht er viel – und er scheint seinen Stoff zu lieben. Moritz Vierboom spielt den erblindenden jüdischen Doktor Demant, Tobias Voigt gibt den Wachtmeister Slama, in dessen Frau sich der junge Trotta verliebt, sie stirbt. Trotta besucht den gehörnten Gatten, der gute Miene zum bösen Spiel machen muss, weil Trotta ein Ranghöherer ist.

Myriam Schröder ist hinreißend als Verführerin, Femme fatale – und als Witwe, die Andreas Pum heiratet und den „Krüppel“ dann verstößt. Aline Joers als Eva Demant verweist bereits auf die flotten Mädels der 1920er-Jahre. Ebenfalls markant: Jan Walter als zynischer Graf Chojnicki, Helmut Wiesinger als hellsichtiger alter Arzt. Gewaltige Militärmaschinen, die Menschen zerreiben, da mag mancher auch an heutige Kriegsschauplätze denken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2014)

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