Juncker übte Druck auf Abgeordnete aus

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Die slowenische Kommissarskandidatin Bratušek wurde zum Spaltpilz zwischen Kommissionschef und EU-Parlament.

Brüssel. Jean-Claude Juncker telefonierte den ganzen Tag über, traf mit Vertreten des Europaparlaments zusammen und setzte alle Hebel in Bewegung, um sein Kommissionsteam zu retten. Die massiven Interventionen an diesem Mittwoch hatten einen guten Grund: Da sich die Europaabgeordneten auf die slowenische Kandidatin Alenka Bratušek eingeschossen hatten, drohte Junckers Kartenhaus zusammenzubrechen. Es sah danach aus, als würde sich das zwischen politischen Gruppen, EU-Ländern und Geschlechtern ausbalancierte Kommissarsteam auflösen. Die für den 22. Oktober geplante Abstimmung im Parlament über das gesamte Team drohte zu scheitern.

Untertags hieß es aus dem EU-Parlament, dass es im zuständigen Ausschuss keine Mehrheit für Bratušek geben werde. Sie gehört den Liberalen an und keiner der großen Fraktionen, die seit Tagen tunlichst darauf achten, dass ihre eigenen Kandidaten die notwendige Mehrheit erhalten. „Juncker hat Druck gemacht, sie dennoch zu wählen“, hieß es. So soll er bei wichtigen Mitgliedern der EVP-Fraktion interveniert haben. Am Abend, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe, war eine Abstimmung über Bratušek geplant. Untertags hatte es bereits einmal geheißen, sie wolle ihre Kandidatur zurückziehen, bevor dies von der EU-Kommission und später von ihr selbst dementiert wurde. Andere Quellen sprachen auch hier von massivem Druck Junckers.

Dem designierten Kommissionschef dürfte bewusst geworden sein, welche Auswirkungen es haben könnte, wenn eine seiner Vizepräsidentinnen verloren ginge. Ein Dominoeffekt wäre die Folge. Denn auch bei weiteren Kandidaten hat sich der Gegenwind aus dem Europaparlament verstärkt. Nicht nur der französische Ex-Finanzminister Pierre Moscovici von den Sozialdemokraten, sondern auch der spanische Christdemokrat Miguel Arias Cañete und zuletzt der Finne Jyrki Katainen (EVP) wurden in Frage gestellt.

Rochade als Ausweg

Juncker versucht, dem Scheitern seines Team durch mögliche Rochaden bei den Zuständigkeiten zu entgehen. Nachdem die EU-Abgeordneten dem Ungarn Tibor Navracsics die Fähigkeit abgesprochen hatten, für Kultur, Bildung und Bürgerrechte zuständig zu sein, soll er andere Aufgabengebiete übertragen bekommen. Ähnliche Änderungen hat Juncker laut Informationen aus dem EU-Parlament auch bei weiteren Problemkandidaten in Erwägung gezogen.

Dass die Angelegenheit derart entglitten ist, hängt unter anderem damit zusammen, dass sowohl der designierte Kommissionspräsident als auch seine Unterstützer im Europaparlament die Diskrepanz zwischen dem auf Objektivität bedachten Prozess der Hearings auf der einen und dem politischen Anspruch der Beteiligten auf der anderen Seite unterschätzt haben – denn Juncker tritt sein Amt als erster gewählter Spitzenkandidat gegen den erklärten Willen vieler Mitgliedstaaten an und will die Brüsseler Behörde politischer führen, und zwar mit Rückendeckung der zwei größten Parlamentsfraktionen.

Das Problem daran ist nur, dass in einem deklariert großkoalitionären Rahmen Postenbesetzungen im Zuge von politischen Tauschgeschäften stattfinden, während die Hearings ein quasi-wissenschaftliches, über die Politik erhabenes Prozedere sind. Insofern lässt es sich objektiv schwer vermitteln, warum die blass wirkende tschechische Kandidatin für den Justiz-Posten, Věra Jourová, vom zuständigen Ausschuss durchgewunken wurde, während sich massiver Widerstand gegen ihre ebenfalls farblose slowenische Kollegin aufbaute. Ebenso unverständlich wirkt der Eiertanz über die Lobbying-Vergangenheit des britischen Kandidaten Jonathan Hill angesichts der Tatsache, dass der Umweltkommissar in spe, dessen Familienangehörige an Ölfirmen beteiligt sind, vom Justizausschuss des Parlaments den Persilschein erhielt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2014)

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