Fuat Sanaç greift in der Diskussion um das neue Islamgesetz zu harten Worten – was man vom Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft bisher eher nicht gewöhnt war.
Wien. „Taqiyya“ bezeichnet im schiitischen Islam die Erlaubnis, dass Muslime ihren Glauben verleugnen dürfen, wenn sie damit ihr Leben oder ihren Besitz retten können. Kritiker des Islam werten den arabischen Begriff für „Furcht“ und „Vorsicht“ gerne als eine Pflicht zur Lüge – und allzu oft wird genau dies Muslimen an den Kopf geworfen, wenn sie in der Öffentlichkeit liberale Ansichten äußern. Auch Fuat Sanaç wurde dies schon des öfteren vorgeworfen.
Hört man dem 60-jährigen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) zu, fällt es allerdings schwer, einen solchen Vorwurf aufrechtzuerhalten. „Was kann ich denn machen?“, antwortete er etwa kürzlich in einem Interview, als er auf jugendliche Jihadisten angesprochen wurde. Man könne doch nicht Salafisten an der Grenze stoppen. Und die jungen Radikalen würden nicht einmal mit ihnen reden. Wohlwollend ließe sich das als ehrliches Eingeständnis interpretieren, dass der Einfluss der IGGiÖ eben beschränkt ist. Weniger wohlwollend könnte man es auch Hilflosigkeit nennen.
Tatsächlich hat der gebürtige Türke, seit er 2011 das Amt von Langzeitpräsident Anas Schakfeh übernahm, immer wieder mit derartigen Situationen zu kämpfen. Situationen, in denen er das, was manche Politiker und Teile der Öffentlichkeit verlangen, nicht sagen will oder kann. Fast fassungslos reagierte er etwa angesichts der immer wieder formulierten Aufforderung, Muslime sollten Gewalt verurteilen, sich nach jedem Vorfall oder Anschlag quasi entschuldigen müssen. „Das ist doch unlogisch und unmenschlich.“
Ungeschickte Formulierungen
Dass er eine Nähe zur türkisch-nationalistischen Vereinigung Mili Görüs hat, bestritt er nie – sondern reagierte auch hier mit Verständnislosigkeit. Es sei eine Organisation wie alle anderen. Und schließlich habe ja genau Mili Görüs die Demokratie in die Türkei gebracht.
So manche Aussage von Sanaç wirbelte – ähnlich wie bei seinem Vorgänger Schakfeh – in der Öffentlichkeit einigen Staub auf. Weil er trotz aller Vorsicht beim Formulieren doch auch den einen oder anderen markanten Sager losließ. Und immer wieder musste IGGiÖ-Sprecherin Carla Amina Baghajati mit ihrer sanften Rhetorik ausrücken, um die Wogen zu glätten.
Abseits ungeschickter Formulierungen dominierten freilich vor allem Wörter wie Dialog und Zusammenarbeit. Und im Verhältnis zu Sebastian Kurz als Staatssekretär und später Minister für Integration waren beide Seiten immer darum bemüht, guten Willen zu zeigen.
Doch der Entwurf zum neuen Islamgesetz, der just präsentiert wurde, während Sanaç auf Pilgerreise in Mekka weilte, hat das Verhältnis doch erschüttert. Diverse Punkte im Entwurf, so klagte er, seien nicht mit der IGGiÖ abgestimmt gewesen. Der Gleichheitsgrundsatz werde gleich mehrfach verletzt. Und nicht zuletzt enthalte das Papier einen „Unterton von Misstrauen“. Die Zusammenarbeit mit den Behörden, sagte Sanaç am Freitagabend, sei immer vom Geist des Respekts getragen gewesen, zumindest „bis vor kurzer Zeit“.
Für Sanaç sind das harte Worte. Und es scheint, als hätte der IGGiÖ-Präsident langsam genug davon, immer nett und freundlich sein zu müssen. Wohl auch wegen des zunehmenden Drucks von islamischer Seite selbst – viele Muslime haben es satt, wegen der IS-Terroristen in Syrien und im Irak mit Extremismus in Verbindung gebracht zu werden. Der Präsident, der bislang ein wenig ungeschickt, manchmal gar hilflos wirkte, wird kämpferischer. Was aber auch nur ein kurzer Theaterdonner sein kann – denn dass er tatsächlich auf Konfrontationskurs geht, gilt dann doch als unwahrscheinlich.
ZUR PERSON
Fuat Sanaç (geb. 1954) ist seit 2011 Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Der gebürtige Türke, der in Deutschland und Österreich studierte, steht der türkisch-nationalistischen Vereinigung Mili Görüs nahe. Er arbeitete lange als Religionslehrer, später als Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht. Sanaç gilt manchen als liberal, anderen wiederum als konservativ.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2014)